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Das Dorf der Katzen

Das Dorf der Katzen

Titel: Das Dorf der Katzen
Autoren: Bernhard Fritz
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hatte, beschloss sie, bei Gelegenheit noch eine Probe zu machen.
    Saphir hatte die ganze Zeit genüsslich das Futter mit Huhn aus dem Napf gefressen und sich dann auf seinen Stammplatz auf der schönsten Decke auf der Couch ausgestreckt. Er blinzelte sie entspannt an, als sie zur Tür hereinkam.
    Sie lauschte in sich hinein.
    Funkstille.
    „Vera, reiß dich zusammen“, murmelte sie, „das waren deine Nerven, sonst nichts. Du projizierst Wünsche in deinen Kater. Dir fehlt der Umgang mit Menschen, darum glaubst du schon, er könne mit dir reden!“
     
    Später, als sie zu zweit auf der Couch saßen und der Fernseher lief, kraulte sie Saphir zwischen den Schulterblättern, wo er es am liebsten hatte. Sonores Schnurren kam aus seinem Inneren.
    „Aber das Fernsehprogramm lässt du mich noch aussuchen, oder?“, hatte sie ihn dann laut gefragt. Eigentlich mehr zum Spaß, aber auch zur Probe, die sie sich ja vorgenommen hatte.
    „Na klar!“, klang es in ihrem Kopf auf.
    Sie war letztendlich innerlich schon gewappnet gewesen. Ansonsten wäre sie jetzt wohl hysterisch schreiend aus dem Wohnzimmer gerannt und hätte sich im Bad verbarrikadiert. So aber sah sie nur auf Saphir herab, der wohlig ausgestreckt neben ihr lag und nun seinen weichen Bauch präsentierte, den sie jetzt bitte zu kraulen hatte.
    „Ich habe einen Wunderkater“, dachte sie.
    Und sie fühlte einen unglaublichen Stolz in sich.
    Von nun an glaubte sie nicht nur daran, dass Saphir ihr Gedanken übermitteln und sie diese auch empfangen konnte, sie wusste es. Sie hütete sich aber tunlichst, anderen Menschen davon zu erzählen.
     
    Sie hatte keine Lust, in einer geschlossenen Anstalt zu landen.
     
    Schnell lernte sie, sich mit Saphir auszutauschen. Es gab - nach einer kurzen Eingewöhnungszeit - zwischen ihnen Rede und Antwort, Nachrichtenübermittlung. Zwar rudimentär, aber sie verstanden sich, oftmals zur größten Verblüffung ihrer Umgebung.
    Ja, Saphir konnte ihr seine Gedanken mitteilen, sie „anfunken“. Aber er konnte noch mehr: sie sprach ihn an, er antwortete ihr auf seine lautlose Art. Zwischen ihnen war eine Zwiesprache möglich geworden, die sich im Laufe der Zeit immer mehr verbesserte und einspielte.
    „So muss sich Dr. Doolittle fühlen“ dachte sie sich manchmal, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam und Saphir ihr lautlos mitteilte, was er den Tag über so gemacht hatte.
     
    Als Saphir dann vor einigen Tagen krank wurde, wobei sie noch nicht wusste, dass es der Dämon FIP war, wurden seine in ihrem Kopf gesprochenen Gedanken erst leiser, dann wirr und verstummten schließlich. Das war an dem Morgen gewesen, als sie ihn zum Tierarzt brachte, der dann die vernichtende Diagnose stellte.
     
    Und jetzt war Saphir fort. Tot.
     
    Das Telefon klingelte.
    Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch. Elke war am Apparat. Veras beste Freundin seit gemeinsamen Grundschultagen.
    „Hallo Vera, alte Katzenmutter“, lachte sie ins Telefon. „Wie sieht’s aus, bleibt es bei heute Abend um acht im Tivoli?“
    Tivoli? Ach ja, sie wollten ins Kino gehen.
    „Nein“ sagte Vera tonlos in den Hörer. „Ich kann nicht, Saphir ist tot.“ Sie schniefte.
    Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann ein gepresstes „Ich komm’ vorbei. Bis gleich!“
    Bevor Vera protestieren konnte, hatte Elke aufgelegt.
    Tatsächlich dauerte es keine zehn Minuten, bis es an der Tür klingelte. Elke fiel Vera um den Hals und Vera klammerte sich fest an sie. Sie schafften es in dieser Stellung, die Wohnungstür zu schließen und bis zur Couch im Wohnzimmer zu gelangen, wo noch Saphirs Lieblingsdecke lag.
    Vera ließ sich auf das Polster fallen, Elke stand daneben und schaute sorgenvoll auf das Häufchen Elend, das vor ihr saß.
    „Was ist passiert?“, fragte sie nur und setzte sich dann neben ihre Freundin. Und aus Vera sprudelte alles heraus, der ganze beschissene Tag, die Trauer, die Selbstvorwürfe, die Hilflosigkeit.
    Elke zeigte sich als wahre Freundin, ließ Vera reden und reden, hörte nur zu und schwieg.
    Als Vera fertig war, stand sie wortlos auf, ging an den Kühlschrank, holte die Flasche mit dem „Notfall-Wodka“ aus dem Kühlfach, von deren Existenz sie als beste Freundin wusste, und machte Vera und sich je einen großen Drink.
    Mit den Gläsern bewaffnet ging sie ins Wohnzimmer zurück, wo Vera immer noch auf der Couch saß und jetzt Saphirs Decke an sich gedrückt hielt. Mit rotgeweinten Augen sah sie über den Rand der Decke zu Elke
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