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Das Dorf der Katzen

Das Dorf der Katzen

Titel: Das Dorf der Katzen
Autoren: Bernhard Fritz
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von den Schattenseiten des Lebens gesehen und erlebt, um im Herzen noch Kind zu sein.
    Eines Abends war ein geheimnisvoller Mann ins Bordell gekommen und auf die Frage des Betreibers, welches Mädchen er denn begehre, hatte der Geheimnisvolle nach ihm, Naf’nur, gefragt.
    Der Betreiber hatte zunächst angewidert das Gesicht verzogen und sich gesträubt, aber ein kleiner Lederbeutel mit Goldstücken hatte ihn sehr rasch umgestimmt.
    So kam es, dass Naf’nur rasch gebadet und in saubere Gewänder gesteckt und dann zu dem Geheimnisvollen gebracht wurde.
    Er stand vor dem Mann, der fast doppelt so groß wie er war und sah zu ihm auf. Er hatte keine Angst.
    Der Mann ging vor ihm in die Hocke, sah ihm in die Augen und sagte:
    „Wenn du hier heraus willst, wenn du immer satt werden willst, wenn du Macht über andere Menschen haben willst und wenn du dir vorstellen kannst, einer Göttin zu dienen bis an dein Lebensende, dann komm mit mir, ohne zu fragen und ohne dich umzudrehen!“
    Naf’nur hatte keine Sekunde gezögert.
    Kurz danach war er an der Seite des Unbekannten aus dem Haus gegangen, wortlos und ohne sich noch einmal umzudrehen.
     
    Das war vor vierunddreißig Jahren gewesen. Jetzt war er hier, er hatte nie mehr Hunger leiden müssen und er hatte Macht. Nur einer hatte noch mehr Macht. Es war der Unbekannte, der sich N’gahar nannte. Der Meister.
     

 
    ΦΦ ΦΦ
     
    In einer neuen Zeit
    Wo die Sterne sich verdecken
    Und ein zweiter Mond erscheint
    Eine Erwählte wird kommen von fern
     
    Vera war keine Vielfliegerin, aber die notwendigen Abläufe, bis man schließlich in der richtigen Maschine sitzt, waren ihr vertraut. Und so hob sie an einem Dienstag Ende Mai vom Flughafen in Richtung Rhodos ab.
    Sie hatte einen Fensterplatz und genoss die Aussicht, zunächst auf die Alpen, dann auf das Flickwerk aus Feldern, Wiesen und Wäldern mit fadendünnen, glitzernden Flüssen unter sich.
    Der Flug ging schnurgerade über den Balkan parallel zur Adriaküste Richtung Athen, wo die Passagiere vom Flugkapitän über Bordfunk darauf aufmerksam gemacht wurden, dass Griechenlands Hauptstadt rechts unter ihnen in Smog und Dunst läge.
    Sie reckte den Hals und konnte tatsächlich das Häusermeer erkennen. Und war das die Akropolis? Sie war sich nicht sicher, aber sie spürte zum ersten Mal seit Tagen, dass die Anspannung zumindest etwas von ihr abfiel und sich eine gewisse Vorfreude auf die kommenden paar Tage Urlaub einstellte.
    Kurz hinter Athen begann die Maschine langsam an Höhe zu verlieren und ging in den Landanflug auf Rhodos über.
    Das Meer mit seinen eingesprenkelten hellbraunen und grauen Inseln und Inselchen, das aus der Reiseflughöhe noch wie eine unbewegte graublaue Platte ausgesehen hatte, begann Konturen zu entwickeln.
    Sie konnte bald den Wellengang und Lichtreflexe erkennen, Schiffe oder Boote waren kleine helle Flecken, die dünne weiße Striche hinter sich herzogen – Kondensstreifen auf dem Wasser.
    Das Wasser erhielt Farbe. Dunkles und helles Blau, Türkis- und Grüntöne. Vera war fasziniert und konnte den Blick nicht mehr von dem Schauspiel unter ihr lassen.
    Sie kannte den Anblick des Meeres aus dem Flugzeug, schon mehrmals war sie nach Spanien und Marokko in den Urlaub geflogen, aber das hier war etwas anderes, etwas ganz anderes.
    Alles war irgendwie heller, plastischer, klarer.
    Vera saß in Flugrichtung rechts und genau dort, rechts, erhob sich jetzt allmählich eine langgestreckte Insel aus dem Meer.
    Das Flugzeug war bald schon so tief, dass sie Ortschaften, Straßen, Autos, Strommasten erkennen konnte.
    Aus dem Sitz hinter ihr kam der halblaute Kommentar eines Mitreisenden:
    „Da ist ja schon die Westküste, jetzt dauert es nicht mehr lange!“
    Das also war Rhodos! Nun ja, aus der Luft betrachtet eine Insel wie Hunderte andere auch.
    Man würde sehen.
    Der Mitreisende hinter ihr - ein Rhodoskenner, wie es schien - machte seine Sitznachbarin und damit zwangsläufig auch Vera aufmerksam:
    „Guck mal, Liebste, da drüben ist der Flughafen!“
    Tatsächlich, da war eine Art Landebahn zu erkennen. Eingeklemmt zwischen einem Bergzug und der Küste. Vera fand, dass diese beengte Lage des dünnen, grauen Streifens nicht sehr vertrauenerweckend aussah.
    Außerdem war er vor allem weit weg. Immer noch tief unten und weit weg. Flogen sie daran vorbei? War das doch nicht Rhodos?
    Das Flugzeug flog tatsächlich stur weiter geradeaus, die Landebahn verschwand aus ihrem Blickfeld.
    Gerade hatte sich
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