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Das doppelte Rätsel

Das doppelte Rätsel

Titel: Das doppelte Rätsel
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Befürchtung, schon jetzt etwas zu entdecken, irgendeine Veränderung, die er den wartenden Kameraden würde mitteilen können. Aber die riesige Spindel schimmerte makellos. Er hatte sich ihr jetzt bis auf etwa 100 m genähert, und seine Fahrt war nun auch schon merklich langsamer geworden. Noch 80 Meter schätzungsweise, noch 50, 30, 20 — 10 Meter vor der FR 17 war er auf dem toten Punkt. Mit den Händen schob er sich die letzten Meter bis zum Netz, zog die immer noch nach unten baumelnde Sicherungsleine herauf und hakte den Karabinerhaken in den Netzring ein. Dann setzte er sich in eine der quadratmetergroßen Maschen des Netzes, mit dem Rücken an die Außenhaut der Rakete gelehnt, und befestigte die Trommel des Transportseils, die er vom Rücken genommen hatte, an einem Knotenpunkt des Netzes. Auf diese Weise waren jetzt die beiden Raketen durch zwei Seile miteinander verbunden: durch das herübergeschossene Leitseil und durch das Transportseil, das er auf dem Rücken mitgebracht hatte.
    „Alles klar?“ fragte die Stimme des Piloten, der von der Havarierakete aus die kleine rote Gestalt gespannt beobachtete. „Drei Maschen unter dir und dann zwei Maschen links ist ein Fenster. Klopfe an!“
    Es war eine kurze, aber anstrengende Klettertour, die Kurt Osterriem bewältigen mußte. Denn während bei Außenbordarbeiten im antriebslosen Flug alles gewichtslos ist, hatte ja hier jeder Körper sein normales irdisches Gewicht. Man kann das nicht oft genug betonen, denn immer noch ist die Ansicht weit verbreitet, daß im Raum alles leicht ist oder ganz und gar vom Automaten erledigt wird und daß die körperlichen Kräfte und das handwerkliche Geschick des Menschen überhaupt keine Rolle mehr spielen oder nur noch eine untergeordnete. Natürlich ist der Anteil der geistigen Arbeit bei normalem Ablauf höher als in so einer Ausnahmesituation, die immerhin selten eintritt, aber dieser Fall zeigte ja, daß jeder zu jeder Zeit Kraft und Geschick parat haben mußte und auch hatte.
    Osterriem kletterte also, die Netzmaschen ausnutzend, an der senkrechten, silbergrauen Wand herunter und seitwärts, bis er das Fenster vor sich hatte. „Achtung, ich schalte die Funkverbindung ab!“ erklärte er. Ein Griff an den Helm — und das Summen erlosch. Plötzlich kam ihm diese Rakete, auf der er herumkletterte, kalt, tot und feindlich vor. Wie kommt es, daß das Gehör stärker als andere Sinne auf das Gefühl einwirkt? Liegt es vielleicht daran, daß wir Dunkelheit, also Gesichtslosigkeit, täglich erleben, Geräuschlosigkeit dagegen fast nie?
    Kurt preßte den Helm an die Wand. Sofort übertrug sich das dumpfe Brausen der Antriebsaggregate, und in diesem Augenblick kam ihm fast schmerzhaft und zum ersten Mal mit aller Deutlichkeit zu Bewußtsein, daß hinter dieser Wand Menschen sein mußten, Genossen, die auf ihn warteten — hoffentlich noch auf ihn warteten …
    Er zog ein Metallwerkzeug aus dem Gürtel und schlug gegen die Wand, einmal — Pause — zweimal — Pause — dreimal. Dann horchte er. Aber er hörte nur seinen eigenen Herzschlag. Noch einmal wiederholte er das Signal, diesmal mit größerer Anstrengung. Ihr müßt euch doch melden! Und wenn die ganze Technik zum Teufel ist, und wenn ihr nicht aufstehen könnt — an irgendeine Wand klopfen kann man doch immer! Aber es kam keine Antwort. Kurt nahm den Helm von der Wand, das Rauschen hörte wie abgeschnitten auf, er schaltete die Funkverbindung wieder ein und sagte mit tiefer Enttäuschung in der Stimme: „Nichts!“ Aber die erregte Stimme des Piloten riß ihn aus seiner Stimmung.
    „Achtung! Meteorit innerhalb der Sicherheitszone! Mit automatischen Kursänderungen ist zu rechnen. Halte dich fest! — Achtung!“ Im gleichen Moment spürte Osterriem, wie er gewichtslos, wurde. Die Kraft seiner bis dahin angespannten Muskeln stieß ihn von der Bordwand weg, er zog einen Teil des Netzes mit sich, griff noch nach dem Längsfaden, löste sich aber doch aus dem Netz und schwebte neben dem Raumschiff. „Zieh dich an der Sicherungsleine hoch!“ rief der Pilot, aber das wäre nicht nötig gewesen. Kurt wußte, was zu tun war, zog sich an den Netzring heran, befestigte die Füße am Netz, die linke Hand — und in diesem Augenblick setzte der Bremsantrieb wieder ein. sein eigenes Gewicht schleuderte ihn herum, er schlug mit dem Helm hart gegen die Bordwand, spurte noch einen heftigen Schmerz am Kopf und verlor das Bewußtsein.
    „Kurt, melde dich! Osterriem! Wenn du
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