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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Autoren: Kai Meyer
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Feuer, an dem er sich in seinem Geheimversteck in den Ställen hatte wärmen wollen, ein böser Brand geworden war, der fast ein paar Rinder das Leben gekostet hatte. Er hatte sich schuldig gefühlt, wirklich schäbig. Alle anderen waren derselben Meinung gewesen, natürlich. Nur Odo nicht. Odo hatte versucht, ihn zu verteidigen, sogar vor dem Abt, der nicht einmal zugehört hatte. Aber Odo hatte geredet und geredet, hatte Stein und Bein geschworen, dass alles nur ein Missverständnis wäre. Vergeblich, natürlich. Und doch – Odo hatte ihn schützen wollen.
    » Dafür sind Freunde schließlich da «, hatte er gesagt.
    Auch heute wartete Odo auf ihn, frierend auf der Hügelkuppe, an dem hohen Pfahl mit der Ritterrüstung.
    Der Erzbischof Konrad von Hochstaden hatte den Ritter dort aufhängen lassen, vor über zehn Jahren, wie es hieß; ein Raubritter sei er gewesen, dem die Mönche Unterschlupf gewährt hatten. Zwar hatte sich der Erzbischof überzeugen lassen, dass die Zisterzienser nichts von der Schuld ihres Gastes geahnt hatten – und das war die Wahrheit, jeder wusste das, auch von Hochstaden selbst, als er den Abt beschuldigt hatte –, dennoch hatte er verfügt, dass der Leichnam in voller Rüstung vor dem Tor des Klosters aufgepflanzt wurde. Dort sollte er hängen, bis der Allmächtige selbst ihn herabhob. Womit er womöglich Wind und Wetter gemeint hatte. Doch diese Gnade blieb den Mönchen versagt. Seither hing die Rüstung dort oben, lange schon ohne ihren Besitzer, denn ihn hatten bald die Krähen gefressen. Bei starkem Wind klapperten die mürben Knochen im Inneren des Harnischs, das hohle Scheppern einer Totenglocke. Der Rest war längst herabgefalle n u nd von Tieren davongeschleppt worden. Keiner kannte den Namen des Toten, außer vielleicht dem Abt, und so hatten die Novizen ihm einen neuen gegeben, vielleicht das einzige Geheimnis, das auch nach zwei Generationen von Klosterschülern eines geblieben war. Den Leeren Ritter Ranulf nannten sie ihn, und niemand wusste so recht, warum Ranulf und nicht Wilhelm oder Ludwig oder, Gott bewahre, Konrad, wie der gnadenlose Erzbischof.
    Es hatte wieder zu schneien begonnen, während Aelvin durch die Wälder zurück zum Kloster gestapft war. Einsam lag es auf einer Anhöhe über den Eifelwäldern.
    Odo hatte seinen Mantel eng um den Körper gerafft und trat von einem Fuß auf den anderen. Ranulfs Harnisch schwebte eine gute Mannslänge über ihm, bizarr verdreht und gehalten von schweren rostigen Ketten, mit denen man den Leichnam einst dort oben befestigt hatte. Ein Wunder, dass die Einzelteile des Eisenpanzers überhaupt noch zusammenhielten.
    » Aelvin! «
    Odo kam ihm auf dem letzten Stück entgegen, seltsam schwankend von seinem eigenen beträchtlichen Gewicht, aber auch von den Schneemassen, die das Laufen außerhalb der Pfade zu einer Tortur machten. » Bist du wahnsinnig geworden? Es wird nicht mehr lange dauern, ehe irgendwer nach dir sucht. Und wenn erst der Abt davon erfährt … «
    » Hat mich jemand vermisst? «
    » Nein, ich glaube nicht. « Odo baute sich vor ihm auf, ein Hüne von einem Mönch, mit Schultern und Oberarmen, die ihn für gröbere Arbeit als ausgerechnet den Dienst am Herrn befähigten. Odo war nicht fett, auch wenn man ihn auf den ersten Blick dafür halten mochte. Unter seiner Kutte, das wusste Aelvin, verbargen sich erstaunliche Muskelmassen. Er war stark wie ein Stier, obgleich er diese Stärke nie einsetzte. Als Kind hatte Odo einmal einen Mann geschlagen, weil de r v om Marktstand seiner Mutter einen Laib Brot gestohlen und ihr im Gerangel die Nase gebrochen hatte; einen einzigen Schlag hatte Odo, damals acht, in den Magen des Diebes gelandet, und das hatte ausgereicht, den Kerl umzubringen. Pech, gewiss. Vielleicht hatte er ein Organ getroffen, das schon zuvor verletzt gewesen war. Doch das hatte keinen interessiert, auch nicht seine Mutter, die sogleich den Allmächtigen um Beistand anflehte und ihr » unseliges Mörderkind « bald darauf in die Obhut der Zisterzienser gab. » Sie war wohl froh, ein Maul weniger stopfen zu müssen «, hatte Odo einmal zu Aelvin gesagt, kopfschüttelnd mit den roten Wangen geschlackert und das Thema gewechselt.
    » Du siehst schrecklich aus. « Odos breites Gesicht glühte unter der Kapuze. » War sie das? «
    Aelvin grummelte ein » Nein « zwischen halb geschlossenen Lippen.
    » Wer dann? « Odo ergri ff einen Zipfel von Aelvins Skapulier und zerrieb mit einigem Widerwillen den Schmutz
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