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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Autoren: Kai Meyer
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er hinterrücks in die Senke. Wärme empfing ihn, der Bronzeschein aus dem Inneren des Baumes, dann klatschte er mit dem Hinterteil in geschmolzenen Schneematsch, überschlug sich mit schlenkernden Armen und Beinen, spürte etwas Hartes über seinen Rücken schrammen, stieß sich schmerzhaft die Schulter und fiel weiter. Nochmals eisiger Schlamm, jetzt in seinem Gesicht, dann ein Schlag gegen seinen Hinterkopf, als er irgendwo anstieß, an einem der Wurzelstränge vielleicht.
    Sie sieht mich, durchzuckte es ihn. Sie weiß genau, dass ich hier bin.
    Natürlich, Dummkopf, wahrscheinlich bist du gerade auf sie gefallen!
    Der Aufprall fuhr ihm durch alle Glieder. Er unterdrückte ein Stöhnen, keuchte nur leise und öffnete die Augen.
    Grau. Weiß. Und schattiertes, unebenes Schwarzbraun.
    Rinde und Schnee. Rinnsale, auf denen sich der Abenddämmer zwischen den Baumkronen spiegelte. Ein leises Plätschern und Tropfen von Schmelzwasser, das bereits versiegte und wieder erstarrte.
    Keine Wärme mehr. Kein Licht.
    Libuse war fort. Und mit ihr auch das große dunkle Etwas, das ihn von hinten angegriffen hatte. Kleine schwarze Augen. Stinkender Atem, ausgestoßen in gewaltigen Wolken. Verklebtes strähniges Haar oder, eher noch, Pelz. Und Zähne, Hauer … Gott, diese Hauer! Lang und gelb und gebogen. Viel zu groß.
    Kein Mensch, ganz bestimmt nicht.
    Aelvin war auf dem Rücken zu liegen gekommen, den Kopf auf einem verwachsenen Wurzelarm. Seine Füße hatten Furchen in den matschigen Schnee gestrampelt. Sein Mantel und das schwarze Skapulier waren völlig durchnässt. Am schlimmsten aber stand es um seine Kutte, deren weißer Stoff nun dem Waldboden unter dem aufgewühlten Schnee nicht unähnlich war. Er würde eine Menge zu erklären haben, wenn er zurück ins Kloster kam.
    Wo aber war Libuse?
    Dort, wo sie gekniet hatte, sah er eine seichte Mulde im Schnee, fast glatt geschmolzen. Auf der anderen Seite der Senke führten verwischte Stapfen die Schräge hinauf und über den Schneewall hinweg. Auch die Bestie im Unterholz zeigte sich nicht mehr, sie war gemeinsam mit dem Mädchen verschwunden.
    Es herrschte völlig Stille.
    Aelvin ließ den Kopf mit einem tiefen Seufzer nach hinten sinken. Er hatte alles verdorben. Er würde sie niemals wieder sehen. Selbst wenn sie noch einmal herkäme – was er bezweifelte, immerhin gab es im Umkreis zweier Tagesreisen Zigtausende alter Eichen –, konnte er sich hier nicht mehr sehen lassen. Sie war gewarnt. Sie würde vorsichtig sein.
    Schlimmer noch: Ihr Vater würde ins Kloster kommen, um ihn zur Rede zu stellen. Ihr Vater, von dem die Brüder erzählten, er sei einst Ritter im Dienste des Erzbischofs gewesen. Ein Unhold von einem Mann, ein Troll nahezu, der zweifellos wusste, was man mit Kerlen machte, die jungen Mädchen nachstellten. Einer, der gewiss ein Schwert daheim hatte, und ganz bestimmt kein kleines.
    Aelvin war so schlecht, dass er glaubte, sich übergeben zu müssen. Doch statt noch länger in seinem Elend zu schwelgen, riss er sich zusammen, stemmte sich mühsam und mit verhedderter Kutte auf die Füße und erklomm nach kurzem Zaudern die Schräge. Oben angekommen blickte er sich um, sah aufgewühlten Schnee und zerbrochene Haselnusszweige, wandte sich schaudernd ab und machte sich auf den Heimweg.
    Er sah nicht zurück, nicht ein einziges Mal, denn er fürchtete, dass sie ihn beobachteten. Beide, das Mädchen und das Ungeheuer. Noch einmal ihrem Blick zu begegnen brachte er nicht über sich. Vor Scham wäre er am liebsten auf der Stelle gestorben, doch das hob er sich für später auf, wenn der Abt ihn zu sich zitieren und ihn Rosenkränze beten lassen würde, bis ihm die Finger bluteten.
    Es sei denn, ihm käme vorher eine Idee.
    Ein Einfall musste her. Auf der Stelle.
    *
    Odo erwartete ihn unter dem Mahnmal des Raubritters.
    Wie hätte es anders sein können? Odo, der sich um ihn sorgte und versuchte, ihm die Flausen auszutreiben; der auch dann noch zu ihm hielt, wenn alle anderen die Köpfe schüttelten und drei Vaterunser für Aelvins Seelenheil beteten.
    Unruhestifter, nannten sie Aelvin. Gotteslästerer und Schlimmeres. Er hatte jeden Fluch gehört, den ein Mönch zustand e b rachte, und das waren weit mehr, als das fromme Volk außerhalb der Klostermauern annehmen mochte.
    Nur Odo war immer auf seiner Seite. Auch dann, wenn Aelvin selbst überzeugt war, dass er zu weit gegangen war. Wie damals, vor vier Jahren, er war gerade zwölf gewesen, als aus dem winzigen
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