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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Autoren: Kai Meyer
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war, als er sie im Beisein des Abtes hochgeschlagen hatte. Kindisch? Ganz sicher. Den Ärger wert? Himmel, ja! Das Ganze war eine alberne Wette gewesen, mit Aelvins Freund Odo, der zwar so groß und breit war wie ein Bär, aber mit dem Mut einer Maus gestraft.
    Weiße Atemwolken nebelten um Aelvin empor und verdeckten seine Sicht, weil der Wind in dem rauen Waldland aus den unmöglichsten Richtungen wehte, sogar aus den Tälern und tiefen Senken herauf. Aelvin würde Acht geben müssen, dass Libuse die weißen Schwaden nicht entdeckte, sonst wäre sein Versteck keinen Pfifferling mehr wert.
    Herrgott noch mal, wo blieb sie nur?
    Sie kam immer an den Montagen und stets in der Stunde vor der Vesper. Das gemeinsame Abendgebet der Mönche war die feierlichste Zeit des Tages, und es würde keine Entschuldigung für Aelvins Abwesenheit geben. Was bedeutete, dass ihm eine harte Strafe ins Haus stände, falls Libuse nicht bal d a uftauchte und er nach einem kurzen Blick auf sie geschwind zum Kloster zurückkehren konnte. Er wagte viel mit diesem verbotenen Ausflug in die Wälder; aber zudem auch noch die Vesper zu verpassen, das überstieg seinen Wagemut, Verliebtheit hin oder her.
    Verliebtheit. Aelvin schluckte und schlug schuldbewusst die Augen nieder, beinahe als beuge sich der Herr selbst aus den Schneewipfeln der Bäume herab, um ihn zu rügen.
    Ganz unvermittelt horchte er auf, als das Geräusch stapfender Schritte ertönte. Irgendwo links von ihm brach die Eiskruste, ein fernes Scharren und Rascheln, das geschwind näher kam.
    Sein Herzschlag hämmerte und pumpte heißes Blut bis in die Ohren. Für einen Augenblick vertrieb wallende Hitze den Frost aus seinen Gliedern. Alles drehte sich in seinem Kopf, und das nicht nur, weil er abrupt die Luft anhielt.
    Libuse kam. Die schöne, süße, überirdische Libuse.
    Aelvin entwich ein leises Keuchen, als er sie endlich, endlich, endlich erblickte.
    Und fuhr abermals zusammen.
    Libuse war nicht allein.
    *
    Die Luft schien zu knistern, der Wind für einen Augenblick zuzunehmen, um dann vollständig innezuhalten. Sogar die Welt vergaß das Atmen, als Libuse zwischen den Bäumen hervortrat, über den Rand eines Schneewalls kletterte und in die Senke unterhalb von Aelvins Versteck schlitterte. Selbst das tat sie mit einer Grazie, die womöglich allen Frauen angeboren oder aber Gottes Geschenk an dieses eine besondere Geschöpf war; Aelvin wusste es nicht, denn seit er im Kloster in den Eifelbergen lebte, war ihm kein anderes weibliches Wesen unter die Augen gekommen. Abgesehen von ein paa r k lobigen Bauersfrauen, aber die zählten nicht. Jedenfalls nicht, wenn man zuvor die Schönheit Libuses gekostet hatte.
    Ein Großteil der Senke, in der Libuse nun niederkniete, wurde vom verschlungenen Wurzelwerk einer mächtigen Eiche eingenommen. Ihr Stamm war so breit wie sechs Männer – acht, legte man das Maß der mageren Zisterziensermönche zugrunde –, und das Alter hatte sich mit Furchen, Knoten und Schrunden in ihre Rinde gefressen. Die Zweige des Baums breiteten sich wie ein Dach über die Mulde an ihrem Fuß. In wärmeren Monaten war das Erdreich zwischen den Wurzeln ein guter Nährboden für Pilze, manchmal auch für seltsame Beeren, die man besser nicht probierte.
    Da war noch jemand jenseits des Schneewalls, auf der anderen Seite der Mulde.
    Aelvin war ganz sicher. Er hatte Schritte von mehr als nur einem Menschen gehört, wenngleich keine Stimmen; er hatte ein tiefes Schnauben vernommen, rasselnd und laut und äußerst unangenehm. Konnte das ihr Vater sein? Falls Odo und die anderen Recht behielten, dann mochte dort drüben der Teufel höchstselbst auf der Lauer liegen.
    Aber sogar das war Aelvin jetzt gleichgültig. Libuse schaute sich um. Ihr Blick strich für einen Moment über das Geäst vor seinem Versteck. Ihre Blicke berührten sich, ganz kurz nur.
    Sie hat mich bemerkt!, durchfuhr es ihn. Sie muss mich einfach bemerkt haben.
    Aber dann wanderte ihr Blick weiter, ohne jedes Zeichen von Unruhe. Sie trug ein grobes braunes Kleid, das bis auf ihre derben Stiefel fiel. Über der Hüfte hatte sie es wie immer eng gegürtet. Heute war allerdings von ihrer zarten Gestalt unter all dem groben Webwerk wenig zu sehen. Sie hatte eine dicke Weste aus grauem Schaffell übergezogen, bedeckt von einer Kruste aus Eis. Zudem trug sie Handschuhe, so formlos wie all ihre Kleidung zu jeder Jahreszeit. Im herrlichsten Gegensatz dazu stand die Anmut ihrer Züge. Unter dunkle n A
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