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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Autoren: Kai Meyer
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lange an Odos Grabstatt und weinte um den toten Freund. Die Mönche hatten seine Leiche aus den Trümmern des Aquädukts geborgen und am Fuß einer Birke begraben. Der Baum wirkte knöchern um diese Jahreszeit. Seine Blätter tauchten die Gräber in Bernsteinglanz.
    *
    Aelvin und Libuse verabschiedeten sich von den Mönchen, schlugen einen weiten Bogen um die Schlucht und tauchten ins Dunkel der Wälder. Viele Laubbäume waren bereits kahl und bildeten verschlungene Portale über dem Pfad. Tannen und Kiefern eskortierten die beiden Wanderer wie stumme Soldaten.
    Sie hatten den halben Weg zum Turm zurückgelegt, als Aelvin bemerkte, dass Libuse sich immer wieder umschaute. Sie war schweigsam geworden, seit sie das Kloster verlassen hatten. Er spürte ihre Anspannung.
    » Was ist los? «, fragte er.
    Libuse blieb stehen und horchte.
    Links von ihnen entstand Bewegung im Unterholz. Etwas Massiges, Dunkles schob sich durch die Zweige. Ein kehliges Keuchen und Schnaufen ertönte. Libuse ließ mit einem Jubelruf ihr Bündel fallen und sank vor dem mächtigen Keiler auf die Knie. Sie schlug die Arme um seinen Kopf und massierte das schmutziges Fell zwischen den Augen. Eines seiner Hinterbeine scharrte aufgeregt im Laub.
    Nach kurzem Zögern streckte Aelvin die Hand aus, um Nachtschattens Kopf zu streicheln. Der Keiler schnaubte, schüttelte sich und verbarg sich im Dickicht.
    » Er mag mich nicht. «
    Libuse stand auf und küsste ihn.
    *
    Die Tür des Turms war aufgebrochen, doch im Inneren herrschte keine Unordnung. Wahrscheinlich hatte während des Winters jemand Schutz vor dem Schnee gesucht und sich gewaltsam Eintritt verschafft, nachdem sein Klopfen ohne Antwort geblieben war.
    Libuse hatte dem Turm an jenem Tag den Rücken gekehrt, als Gabriel und seine Wolfskrieger sie überfallen hatten. Wer immer hier zwischenzeitlich Unterschlupf gefunden hatte, er hatte die zerbrochenen Möbel entfernt und alle Spuren des Kampfes beseitigt.
    Sie verbrachten die Nacht in der Dachkammer. Bevor sie den Turm am nächsten Tag für immer verließen, packte Libuse einige Dinge ein. Erinnerungsstücke an ihren Vater, einige leichte Waffen, vor allem aber drei der Masken, die das Gebälk ihrer Kammer schmückten.
    » Alte Freunde «, erklärte sie Aelvin.
    Er half ihr, alles in den beiden Rucksäcken zu verstauen.
    Später würden sich die Mönche nehmen, was sie gebrauchen konnten. Mit dem Rest sollten sie tun, was ihnen beliebte.
    Dann waren sie wieder unterwegs und wanderten durch die Wälder nach Westen. Nachtschatten raschelte im Unterholz.
    Im Mondschein legte Libuse die Masken auf ein Bett aus Tannennadeln und nannte Aelvin ihre Namen. Es sei alter Zauber darin, behauptete sie, und er glaubte ihr.
    Die Blätter fielen. Es wurde kälter.
    In den Nächten träumte er von zwei Gräbern im Wüstensand.
    Nicht mehr lange bis zum ersten Schnee.

NACHWORT DES AUTORS
    E s gibt zahllose Theorien über den » wahren « Standort des Gartens Eden. Setzt man ihn nicht mit dem historischen Erscheinen der ersten Menschen gleich, sondern nähert sich dem Thema auf religiöse, zumindest aber spirituelle Weise, mögen alle diese Spekulationen hinfällig sein. Ich habe mich für eine Variante entschieden, die meines Wissens in keiner der ernsthafteren Abhandlungen zu finden ist. Vielmehr beziehe ich mich auf die Bemerkung eines Reisenden in seinem Bericht aus dem frühen 20. Jahrhundert. Fraglos steht er damit in der Tradition unzähliger solcher Einschätzungen: Welcher Forscher in unberührten Winkeln der Erde hat nicht den Vergleich zum Paradies heraufbeschworen?
    Auch heute noch ist das Leere Viertel ein schwer zugänglicher Ort, um den die meisten Wüstenreisenden einen Bogen machen. In seinem Zentrum gibt es eine Hand voll mysteriöser Krater und vermutlich noch einige mehr, die unter dem Sand verborgen liegen. Wissenschaftler streiten, wann sie entstanden sind; zwischen ihren Einschätzungen klaffen Differenzen von Jahrtausenden. Fest steht, dass hier einst ein Himmelskörper in niedrigem Winkel über die Wüste hinweggerast und beim Aufschlag in unzählige Teile zersplittert ist. Bildmaterial gibt es nur wenig über diesen Ort, da selbst die sonst so regen Meteoritenforscher die Reise in die Rub al-Khali scheuen. Die Überschneidungen zwischen dem Garten Ede n u nd dem Garten Allahs liegen auf der Hand, auch wenn das moslemische Bild vom Paradies eine sexuelle Komponente besitzt, die dem christlichen zwangsläufig fehlt. Im Roman machen
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