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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Autoren: Kai Meyer
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wurden Bögen gespannt und Krummschwerter gezogen. Alle blickten in dieselbe Richtung, hinaus in die Dunkelheit. Nachdem Sinaida so lange in die Flammen geschaut hatte, erkannte sie dort drüben nichts als Finsternis. Ihre Augen mussten sich erst wieder an das Nachtlicht gewöhnen, an Sternenschein auf silbergrauen Dünen.
    » Sind sie das? «, fragte Albertus. Sie konnte ihm ansehen, wie sehr es ihn drängte, aufzuspringen und den Hang hinunterzulaufen.
    Die beiden Leibwächter des Schamanen – mittlerweile war sie überzeugt, dass es sich um die Söhne des Alten handelte –, erhoben sich ebenfalls. Der, mit dem sie vor wenigen Stunden gekämpft hatte, lief einige Schritte die Düne hinunter. Der Zweite ergriff das Schwert, das die ganze Zeit über auf seinen Oberschenkeln gelegen hatte. Es war dieselbe Klinge, mit der Sinaida ihren gescheiterten Fluchtversuch gewagt hatte.
    Der Schamane sagte etwas zu dem jüngeren Mann, so leise, dass Sinaida es nicht verstand. Daraufhin gab dieser ihr das Signal, aufzustehen. Sie gehorchte so behände, dass er erstaunt eine Augenbraue hob; zwei Stunden im Schneidersitz ließen die Beine eines jeden Menschen erlahmen. Aber Khur Shah und Kasim hatten Sinaida gelehrt, niemals die Beherrschung über ihren Körper zu verlieren.
    » Was ist geschehen? «, fragte sie ihren Bewacher auf Arabisch.
    » Jemand kommt. «
    » Unsere Freunde? «
    » Ein einzelner Mann. «
    Sinaida übersetzte die Worte für Albertus.
    » Shadhan «, flüsterte er.
    Der Schamane warf eine Hand voll Sand in die Flammen und stimmte einen leisen, leiernden Singsang an.
    Immer mehr Qurana stiegen die Dünen hinab und bildeten an der Grenze zum Wüstenherz einen Wall, eine lange Kette aus Männern und Schwertern und gespannten Bögen.
    » Da ist er «, murmelte Albertus.
    Erst war er nur ein schwarzer Punkt, der langsam näher kam, so als habe sich eines der Felsstücke in Bewegung gesetzt.
    Einige der Qurana hielten lodernde Holzscheite als Fackeln. Im Schein der tanzenden Flammen hob sich Shadhan aus den Schatten der Wüstennacht.
    » Wo sind die anderen? « Albertus blickte von Shadhan zum fernen Horizont und dem vagen Umriss des Steinriesen, der sich kaum sichtbar im Dunkel von den Sternen abhob. Nichts deutete auf eine Veränderung hin. Hatte er gehofft, sie alle würden schlagartig inmitten eines blühenden Gartens stehen, sobald die Lumina eingepflanzt war? Dass ein neues göttliches Licht die Nacht zum Tag machen würde, so wie schon einmal beim Anbeginn der Schöpfung?
    Sinaida durchfuhr beim Anblick Shadhans ein ganz anderer Gedanke, einer, der nichts mit ihren Gefährten zu tun hatte, nicht einmal mit dem Garten Gottes.
    Stattdessen erfüllte sie Dankbarkeit. Gott schenkt mir eine zweite Chance, dachte sie.
    Nimm ihn dir, flüsterte eine fremde Stimme in ihren Gedanken. Als sie herumfuhr, sah sie, dass der Schamane jenseits des Feuers die Augen aufgeschlagen hatte und sie anstarrte.
    Ich habe durch die Augen der Hüterin gesehen. Ich weiß, was sie weiß. Er nickte ihr kaum merklich zu. Der Mann gehört dir.
    Sie blickte zurück zu Shadhan. Der Schamane rief etwas in seiner trockenen, brüchigen Stimme, und gleich darauf reichte ihr der Mann neben ihr sein Schwert.
    Shadhan wankte gebeugt auf die Menschen zu. Reglos erwarteten die Qurana seine Ankunft. Ihre Gesichter blieben unbewegt, nur der Flammenschein ihrer Fackeln schuf die Illusion grotesken Mienenspiels.
    Das einzige Geräusch waren Shadhans scharrende Füße im Sand. Der Wind hielt den Atem an, so als stünde ein großer Sturm bevor.
    Die Formation der Qurana öffnete sich.
    Shadhan taumelte in den Lichtschein, zögerte, stolperte dann durch die Schneise. Er war kein Gegner mehr, jeder konnte das sehen. Er war verletzt und hielt den Arm auf absurde Weise verdreht, so als habe seine Hand nach einer Stelle auf seinem Rücken getastet und sei dort festgewachsen. In gewisser Weise war er längst tot, und er wusste es.
    Sinaida setzte sich in Bewegung. Mit weiten Schritten lief sie den Dünenhang hinab. Schollen aus trockenem Sand lösten sich und begleiteten sie talwärts.
    Albertus hob die Hand, als wollte er sie zurückhalten, dann ließ er sie wieder sinken. Sie bemerkte es nur aus den Augenwinkeln. Ihre Umgebung kristallisierte in einem einzigen zeitlosen Augenblick.
    Eine Armlänge vor Shadhan kam sie zum Stehen.
    Keine Worte. Nur eine Begegnung ihrer Blicke. In seinen Augen sah sie Khur Shah. Er lächelte. Er wartete auf sie.
    Ein einzelner
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