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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Autoren: Kai Meyer
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die Angst um Favola, auch um Aelvin, baute sich immer wieder wie eine Mauer vor ih r a uf. Immer wenn sie gerade glaubte, eine Verbindung zu spüren, wurde dieses Band von einem anderen Gedanken gekappt.
    Einmal öffnete sie kurz die Lider und sah Aelvin an, der mit geschlossenen Augen zwischen ihr und Favola kauerte. Schweiß stand auf seiner Stirn. Er besaß keine Macht über das Erdlicht, aber damals in der Mine war etwas geschehen, das ihr geholfen hatte, den Zauber zu beschwören. Sie war nicht sicher, ob er einen echten Anteil daran gehabt hatte oder ob es vielmehr seine Entschlossenheit gewesen war, die auf sie abgefärbt und ihr neue Kraft gegeben hatte.
    Sie schloss die Augen, fixierte ihre Gedanken wieder ganz auf die Lumina. Sie errichtete einen Schutzwall um ihren Verstand, klammerte alles aus, was sie hätte ablenken können: die Sorge um die beiden anderen; die Furcht, dass Shadhan zurückkehren und sie in ihrem geschwächten Zustand alle drei töten könnte. Von alldem musste sie sich lösen, wieder ganz sie selbst werden, so unbeschwert wie früher in den Wäldern, als sie allein durch finsteren Tann und lichte Birkenhaine gestreift war, auf der Suche nach Spuren des Erdlichts, auf der Fährte jener Kräfte, die tief im Inneren der Erde entsprangen und dur ch die Wurzeln uralter Bäume flo ssen, hinauf in die Welt der Pflanzen und Menschen.
    Sie spürte es.
    Weit, weit entfernt und unendlich viel tiefer, als die Wurzeln der Lumina reichten. Es war dort unten, irgendwo, aber auch in ihr selbst, breitete sich aus, erfüllte sie mit neuer Kraft, mit Leben, mit Licht.
    Favola stöhnte leise.
    » Mein Gott «, flüsterte Aelvin.
    Libuse hörte es kaum. In ihr fauchte etwas empor, erfüllte sie mit dem Rauschen eines endlosen Blätterozeans, mit einer Erinnerung an Grün, an Leben, das einst auch dieses Land bedeckt und durchdrungen hatte.
    Ihre Gedanken formten unsichtbare Wurzelstränge, die sic h t ausendfach verzweigt durch den Sand wühlten, tiefer hinab in die Vergangenheit dieses Ortes, in das, was vor langer Zeit vielleicht hier gewesen war. Und dann – spürte sie es atmen.
    Spürte es leben.
    Ekstase erfüllte sie bis zum Bersten, drängte aus ihr hervor, umhüllte sie alle, verästelte sich als Aderwerk puren Lebens durch Aelvin, durch Favola, durch die Lumina.
    » Es ist da «, raunte Aelvin auf der anderen Seite ihrer geschlossenen Augenlider.
    » Libuse? Hörst du mich? Es ist da! «
    *
    Sinaida starrte ins Feuer und sah gegenüber das Gesicht des Schamanen. Sein unversehrtes Auge war dunkel und bodenlos, blickte durch die Flammen zu ihr herüber und ließ sie nicht mehr los. Das stumme Kräftemessen, zu dem er sie aufforderte, war ihr zuwider, doch sie musste sich darauf einlassen, ob sie wollte oder nicht. Alles andere wäre ein Eingeständnis ihrer Schwäche gewesen. So starrte sie zurück, äußerlich aus Eis, innerlich jedoch aufgewühlt bis an die Grenzen einer Panik.
    Der Schamane musste spüren, was in ihr vorging. Er bohrte in ihrem Verstand, grub in ihren Gefühlen. Zugleich ging ein Sog von ihm aus, der sie nicht losließ.
    Er spielt mit mir, dachte sie.
    Nein, kein Spiel. Er erforscht mich. Versucht, mich zu verstehen. Er will die Wahrheit erfahren über meinen Hass auf Shadhan.
    War das der Grund, weshalb er sie nicht hatte töten lassen, so wie zweifellos Dutzende andere, die im Laufe der Jahre versucht hatten, ins Wüstenherz vorzustoßen? Was hatte er in seiner Vision gesehen, bevor er schreiend aus seiner Entrückung erwacht war?
    » Sinaida. «
    Im ersten Moment glaubte sie, der Schamane hätte sie gerufen. Aber sie hatte ihm ihren Namen gar nicht genannt.
    » Sinaida! «
    Albertus ’ Stimme riss sie zurück in der Wirklichkeit, an ein prasselndes Lagerfeuer in der Wüste, noch immer umgeben von eiskalter Nacht.
    Der Schamane schloss die Augen, schien wieder in sich selbst zu versinken. Sie verstand nichts von dem, was er tat, wie er sich verhielt, was er dachte. Er war ihr so fremd wie ein Raubtier, das eine Aura unbarmherziger Überlegenheit ausstrahlt.
    » Es tut sich etwas! « Die Stimme des Magisters klang alarmiert, aufgeregt bis zur Atemlosigkeit. » Sieh dir das an! «
    Sie folgte seinem Blick nur zögernd, so als hielte noch immer etwas sie fest. Die Flammen schlugen höher, ohne dass irgendwer neue Zweige hineingeworfen hätte. Sie löschten das Gesicht des Schamanen aus wie eine Kreidezeichnung.
    Überall an den Feuern hatten sich die Qurana erhoben. Abermals
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