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Das Buch mit dem Karfunkelstein

Das Buch mit dem Karfunkelstein

Titel: Das Buch mit dem Karfunkelstein
Autoren: dtv
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lastet,
     dann sprich mit ihm darüber.«
    Paul warf einen raschen Blick auf den Bibliothekar und bemerkte ein kurzes Lächeln in seinem freundlichen Gesicht.
Einen
Freund hatte er also wenigstens!
    »Du kannst gehen.«
    Paul verbeugte sich vor dem Abt, wie er das bei den Mönchen beobachtet hatte, und ging hinaus. Fassungslos machte er sich
     auf den Weg zum Unterricht im Novizenhaus.
    Was für eine furchtbare Anschuldigung! Wenn er doch nur mit Agnes hätte sprechen dürfen! Er brauchte dringend Hilfe, denn
     allein kam er aus der Sache nicht heraus. Ihm graute davor, Bruder Gregor von den Pergamentbögen zu erzählen. Vielleicht durfte
     er ihm dann nicht mehr im Skriptorium helfen – und das war das Einzige, was ihm hier wirklich Spaß machte! Es gab nur eine
     Möglichkeit, die ihn retten konnte: Er musste das Buch wiederfinden. Das bedeutete aber auch, dass er den wahren Dieb entlarven
     musste. Aber das konnte er nicht allein. Wer konnte ihm helfen? Was sollte er nur tun?
    Verzweifelt ging er durch den Innenhof des Novizenhauses und öffnete die Tür zur Inneren Schule. Hier wurden sie im Lesen,
     Singen, Rechnen und Schreiben unterrichtet und lernten lateinische Gebete und Gesänge auswendig.
    Bruder Hubertus, der Novizenmeister, hatte bereits mit dem Unterricht begonnen und wies ihn streng an, auf seinen Platz zu
     gehen. Die Schüler saßen vor seinem Pult auf dem Boden und wiederholten gehorsam den lateinischen Satz, den er ihnen vorgesprochen
     hatte. Hubertus wippte dazu mit seiner Rute, die auch schon mal auf einen Rücken fuhr, wenn jemand einen Fehler machte oder
     nicht aufpasste.
    Die kleineren Jungen plapperten nur nach, denn sie konnten noch kein Latein, aber gewöhnten sich so an die Aussprache. Auch
     Paul fiel Latein schwer. Er hatte es nie gelernt. Zu Hause war er in eine Schule gegangen, dievon den Kaufleuten seiner Stadt gegründet worden war. Da hatten sie Rechnen gelernt und Lesen und fremde Sprachen, die sie
     später als Kaufleute brauchen würden. Das nutzte ihm hier im Kloster wenig.
    Und weil Paul noch kein Latein verstand, merkte er nicht, dass in dieser Unterrichtsstunde alle Sätze auf den Verdacht gegen
     ihn anspielten. Er konnte es nur an den spöttischen Gesichtern der Älteren sehen.
    »Und nun sprecht nach«, rief Bruder Hubertus und schwang die Rute im Takt.
»Temporibus peccata latent   …«
    »Temporibus peccata latent!«,
riefen seine Schüler im Chor.
    »…   sed tempore parent!«
    »Sed tempore parent!«
    Paul beugte sich zu einem der älteren Schüler.
    »Was heißt das?«, wisperte er.
    »Eine Zeit lang bleiben Freveltaten verborgen, aber mit der Zeit werden sie offenbar«, übersetzte der andere grinsend.
    Paul wurde rot. Er hatte genug von diesem Unterricht, aber er musste bis zum Schluss aushalten.
    Nach dem Mittagsgebet schickte ihn der Novizenmeister in die Küche des Novizenhauses, wo Bruder Melchior ihm Wasser und Brot
     geben sollte, das er als Buße dort allein essen musste.
    Melchior war der Cellerar, der Wirtschaftsverwalter des Klosters. Er kümmerte sich um den Klosterbesitz, um Küchen und Keller
     und sorgte für Vorräte, Werkzeugeund Kleidung. Er war klein und kugelrund und wurde von allen respektiert.
    Als Paul in die Küche trat, machte Melchior ihm Zeichen, sich an den Tisch zu setzen. Auch beim Essen wurde geschwiegen. Aber
     Paul wagte nicht, sich hinzusetzen, denn auf dem Tisch spazierte die zahme Dohle hin und her, die Melchior überallhin folgte.
     Sie konnte sogar sprechen. Paul hatte Angst, dass sie nach ihm hacken würde.
    Melchior brach ausnahmsweise sein Schweigen. »Setz dich! Furax tut dir nichts.«
    »Furax?«, fragte Paul erstaunt. Es wurde wirklich Zeit, dass er Latein lernte.
    »Ja, er heißt Furax und das heißt ›diebisch‹. Ich finde, es passt. Dohlen sind Rabenvögel. Alles, was glänzt und blinkt, ist
     vor ihnen nicht sicher. Und nun iss.«
    Paul biss in sein Brot. Furax baute sich vor ihm auf und beobachtete mit schief gelegtem Kopf jede Bewegung des Jungen. Schließlich
     warf Paul ein paar Krümel vor ihn hin.
    »Lieb, lieb!«, krächzte Furax und pickte sie in rasender Geschwindigkeit auf.
    »Dieb, Dieb? Du hast recht, Vogel«, sagte Melchior ernst. »Es sieht so aus, als wäre Paul ein Dieb.«
    Traurig würgte Paul den letzten Bissen herunter. Jeder hier schien Lamberts Anschuldigung zu glauben. Er musste sofort etwas
     unternehmen.
    Aber was? Plötzlich stutzte er. Wieso war ihm das nicht früher eingefallen? Er
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