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14 - Der große Krieg

14 - Der große Krieg

Titel: 14 - Der große Krieg
Autoren: Oliver Janz
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EINLEITUNG
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    Unsere Vorstellung vom Ersten Weltkrieg ist geprägt durch die Westfront, durch Bilder von endlosen Schützengräben, vom Stellungskrieg und den industriellen Abnutzungsschlachten an der Somme und um Verdun. Dafür steht bis heute Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues , das berühmteste Buch über den Ersten Weltkrieg und Vorlage für den gleichnamigen Film. Aber nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Geschichtswissenschaft dominiert noch immer ein auf Deutschland und Westeuropa konzentriertes Bild vom Ersten Weltkrieg. Dieser erscheint vor allem als ein europäischer Bürgerkrieg zwischen Deutschland, Frankreich und England. Als seine Ursachen gelten die deutsch-französische »Erbfeindschaft«, die nicht verwundene Niederlage von 1870/71 und der Verlust Elsass-Lothringens, das wilhelminische Streben nach Weltgeltung und die deutsche Flottenrüstung sowie britische Missgunst gegenüber dem wirtschaftlich so erfolgreichen Newcomer Deutschland.
    Demgegenüber ist weitgehend in Vergessenheit geraten, dass Ost- und Südosteuropa noch stärker in Mitleidenschaft gezogen wurden als West- und Mitteleuropa. Während im Westen viele Staaten wie Spanien, die Schweiz, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen ihre Neutralität wahren konnten, wurde ganz Osteuropa vom Krieg erfasst, einschließlich des Balkans, wo der Krieg ausbrach. Dies war kein Zufall, denn hier lagen viele seiner tieferen Ursachen. Noch weniger bekannt ist, dass die Verluste an den östlichen und südöstlichen Fronten und im Nahen und Mittleren Osten höher waren als an der Westfront mit ihren blutigen Materialschlachten. So ist etwa ein Drittel der serbischen und rumänischen Soldaten im Krieg umgekommen, mehr als doppelt so viel wie im deutschen oder im französischen Heer. Das osmanische Heer verlor 20 Prozent seiner Soldaten, fast doppelt so viele wie Briten oder Italiener. 1 Noch eindeutiger fällt die Bilanz aus, wenn man die Opfer einbezieht, die der Krieg unter der Zivilbevölkerung Osteuropas und Kleinasiens forderte.
    Dass die osteuropäische Dimension des Weltkriegs im allgemeinen Bewusstsein – und bis vor wenigen Jahren auch in der Forschung – so wenig präsent ist, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Sowjetunion, obwohl sie aus dem Ersten Weltkrieg hervorging, aber auch die Staaten in Osteuropa, die nach 1945 zu ihren Satelliten wurden, auf den Gründungsmythos der Russische Revolution fixiert waren. Das hat die Erinnerung an den großen Krieg in Osteuropa lange überlagert. Ähnlich liegen die Dinge in der Türkei. Für sie wurde nicht der Erste Weltkrieg, sondern der unmittelbar aus ihm entspringende Unabhängigkeitskrieg, der vor allem gegen Griechenland geführt wurde und in die Gründung der Republik mündete, zum zentralen Bezugspunkt der kollektiven Erinnerung.
    Als Erster Weltkrieg wird der Konflikt allgemein erst seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. In Frankreich, England und Italien spricht man bis heute vorwiegend vom Großen Krieg. Wenn hier und da schon früher vom »Ersten Weltkrieg« die Rede war, vor allem in Deutschland, dann meist nicht um seine globale Ausdehnung, sondern seine welthistorische Bedeutung zu unterstreichen. So blieb die deutsche Historiografie des Krieges stark national verengt. Nach 1918 ging es vor allem darum, die These von der Kriegsschuld Deutschlands zu widerlegen, nach 1945 um die Frage, welchen Stellenwert der Krieg für den »deutschen Sonderweg« hatte, der zu Hitler und Auschwitz führte.
    Doch in einer Zeit, die durch die Erfahrung beschleunigter Globalisierung geprägt ist, muss gerade die weltumspannende Dimension des Ersten Weltkrieges in den Mittelpunkt rücken. Er war nicht nur für Europa, sondern auch für viele Länder der außereuropäischen Welt die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«. Kein anderes Ereignis vor ihm hat das Leben so vieler Menschen auf allen Kontinenten verändert. Der Erste Weltkrieg zeigt, wie globalisiert die Welt und das internationale Mächtesystem schon 1914 waren. Er war nicht nur der erste totale Krieg, in dem alle gesellschaftlichen Kräfte und wirtschaftlichen Ressourcen mobilisiert wurden, sondern auch der erste wirklich globale Krieg der Weltgeschichte. 2 Er wurde nicht nur, wie schonmanche Kriege zwischen den europäischen Mächten vor ihm, auch außerhalb Europas geführt, in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten, in China und im pazifischen Raum, an diesen
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