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14 - Der große Krieg

14 - Der große Krieg

Titel: 14 - Der große Krieg
Autoren: Oliver Janz
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wurden als Geiseln genommen und 15

000 Mann in privaten Unterkünften einquartiert. Die städtischen Behörden hatten schon Anfang August alle Waffen in privater Hand konfisziert, um beim Eintreffen der Deutschen individuelle Widerstandsakte zu verhindern, die zu Repressalien führten konnten. Die Stadt war also zum Bersten mit deutschen Truppen gefüllt und völlig entwaffnet. Dennoch brach unter den Soldaten am Abend des 25. August Panik aus, nachdem irgendwo in der Stadt Schüsse gefallen waren. Einige Soldaten begannen aus den Häusern auf die Straße zu schießen, andere von der Straße in die oberen Stockwerke der Häuser, wo sie feindliche Schützen vermuteten. Die Stadt wurde für mehrere Tage Schauplatz unbeschreiblicher Szenen. Die Einwohner wurden auf die Straßen getrieben, beschimpft und misshandelt. 248 Bürger wurden erschossen oder sogar mit Bajonetten erstochen. Bei einigen der Leichen sind Spuren von Folter entdeckt worden. 1

500 Einwohner wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Deutschland deportiert. Es kam zu zahlreichen Plünderungen, und große Teile der Stadt wurden vorsätzlich und systematisch in Schutt und Asche gelegt. 1

120 der 8

928 Häuser der Stadt gingen in Flammen auf, darunter auch die Stadthalle, ein Juwel der niederländischen Gotik, und die Universitätsbibliothek mit ihren weltberühmten Buch- und Handschriftenbeständen. 13
    Diese Ereignisse haben dem Ansehen Deutschlands in der Welt schweren Schaden zugefügt und dienten der alliierten Propaganda als willkommener Anlass, um den Deutschen den Status eines Kulturvolks abzusprechen – sie waren nun »Hunnen« oder »Barbaren«. Dabei kam es auch zu Übertreibungen, etwa wenn behauptet wurde, Soldaten hätten belgischen Kindern die Hände abgehackt. Die Deutschen versuchten, die Kriegsgräuel und Zerstörungen als legitime Repressalien gegen die illegale Bewaffnung von Zivilisten zu rechtfertigen. Auf beiden Seiten wurde eine Flut von inoffiziellen Schriften und amtlichen Publikationen zum Thema veröffentlicht, die auch in andere Sprachen übersetzt wurden, um nicht zuletzt die öffentliche Meinung in den neutralen Ländern zu beeinflussen. Daran haben sich bald auch die Intellektuellen aller Seiten beteiligt. So ging die Entgrenzung der militärischen Gewalt durch die Deutschen nahtlos in eine ideologische Entgrenzung des Krieges über, in der beide Seiten sich elementare Werte wie Kultur und Menschlichkeit absprachen. Die Kriegsgräuelfrage trug entscheidend dazu bei, »den Weltkrieg in einen totalen Krieg zu verwandeln, in dem die Werte der feindlichen Kultur verdammt und wodurch die Friedensfindung nach 1918 erschwert wurde«. 14
    Diese internationale Propagandaschlacht um die Gunst der Neutralen konnten die Deutschen nicht gewinnen. Belege für die vermeintliche belgische Volksbewaffnung konnten sie nicht vorweisen. Aber das war nur einer der Gründe für ihren propagandistischen Misserfolg. Schon durch den Einmarsch in das neutrale Land hatte sich das Kaiserreich in den Augen der Welt ins Unrecht gesetzt. Dass der Reichskanzler dies unumwunden zugab, machte die Sache nicht besser. Außerdem blieb es nicht bei den Kriegsgräueln in Belgien. Die Deutschen lieferten ihren Gegnern auch im weiteren Verlauf des Krieges durch spektakuläre Verstöße gegen das Völkerrecht oder andere allgemein anerkannte Normen immer wieder Anlässe, die sich von den Medien gut ausschlachten ließen und den deutschen Interessen in neutralen Ländern schweren Schaden zufügten. So beschoss die Artillerie am 19. September die weltberühmte Kathedrale von Reims, vermutlich aus Ärger darüber, dass es den Franzosen wenige Tage zuvor gelungen war, die symbolträchtige Stadt wiedereinzunehmen. Der deutsche Heeresbericht vom 22. September begründete den Beschuss, der das Bauwerk schwer beschädigte, mit einem französischen Beobachtungsposten, der sich auf dem Turm befunden habe. Solche hilflosen Erklärungen überzeugten die Öffentlichkeit in neutralen Ländern wenig.
    Ein Skandal waren auch die Deportationen aus den besetzten Gebieten, die von den Deutschen in der Karwoche 1916 durchgeführt wurden, und zwar vor allem, weil auch Frauen und Kinder betroffen waren. Insgesamt wurden während des Krieges 120

000 Franzosen, 100

000 Belgier und einige hunderttausend Polen nach Deutschland zur Zwangsarbeit deportiert. In Polen erfolgten die Umsiedlungen, um Land für Deutsche zu gewinnen. 15 Die Militärführung
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