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14 - Der große Krieg

14 - Der große Krieg

Titel: 14 - Der große Krieg
Autoren: Oliver Janz
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rechtfertigte die Deportationen der »Abschüblinge« damit, dass die englische Blockade deren Versorgung in ihrer Heimat unmöglich gemacht habe. In den neutralen Staaten wurden solche Ausreden nicht ernst genommen. Die Verschleppungen und Vertreibungen lösten in der Weltöffentlichkeit Abscheu aus, ebenso wie die Versenkung des britischen Passagierdampfers Lusitania am 7. Mai 1915, bei der 1

200 Menschen ums Leben kamen, darunter 126 US-Amerikaner. 16
    Mit derartigen Maßnahmen schadete die Reichsführung vor allem sich selbst, denn die öffentliche Meinung in den neutralen Ländern zählte. Sie konnte zu deren Kriegseintritt beitragen wie im Fall Italiens oder der USA, aber auch ökonomische Folgen haben. Die britische Seeblockade war nämlich keinesfalls lückenlos, und Deutschland bezog über Schweden, Norwegen, die Niederlande und die Schweiz wichtige Lieferungen. Als entscheidend für den Kriegsverlauf würde sich noch die öffentliche Stimmung in den USA erweisen; Reichskanzler Bethmann Hollweg und der Kaiser ahnten dies bereits 1915 und wehrten sich deshalb auch gegen den unbeschränkten U-Boot-Krieg, der nach der Versenkung der Lusitania für fast zwei Jahre eingestellt wurde.
    Die Briten befanden sich bei der Beeinflussung der Weltmeinung deutlich im Vorteil, denn sie hatten gleich zu Kriegsbeginn alle sechs deutschen Atlantikkabel durchtrennt und der Entente dadurch das globale Informationsmonopol gesichert. So konnten, als ob die tatsächlichen Grausamkeiten nicht gereicht hätten, auch Massaker gemeldet werden, die es nie gegeben hat, zumal sich derartige Nachrichten gut verkaufen ließen, weil die Öffentlichkeit danach verlange. Ein Reporter des Daily Mail berichtete, dass seine Zeitung dringend nach Berichten über deutsche Grausamkeiten rief. Als er nicht fündig wurde, erfand er eine herzerweichende Geschichte über die Rettung eines Babys vor mordlustigen Hunnen in einer Kleinstadt nahe Brüssel. 17 Manche Zeitungen der Entente brachten Fotos von russischen Vorkriegspogromen und schrieben sie einfach den Deutschen zu.
    Während die britischen Nachrichtenagenturen ihre Berichte nach Belieben in die Welt kabeln konnten, musste sich Reichskanzler Bethmann Hollweg1914 mit einem Brief an die amerikanischen Nachrichtenagenturen United Press und Associated Press behelfen, um eine deutsche Version der Vorgänge in Belgien nachzuliefern:

    »Man verschweigt Ihnen, daß belgische Mädchen Verwundeten auf dem Schlachtfelde die Augen ausgestochen haben. Beamte belgischer Städte haben unsere Offiziere zum Essen geladen und über den Tisch hinüber erschossen. Gegen alles Völkerrecht wurde die ganze Zivilbevölkerung Belgiens aufgeboten, die im Rücken unserer Truppen nach anfänglich freundlichem Empfang mit versteckten Waffen sich in grausamer Weise erhob. Belgische Frauen durchschnitten Soldaten, die sie im Quartier aufgenommen hatten und die sich zur Ruhe gelegt hatten, den Hals.« 18
    Derartige deutsche Rechtfertigungsversuche gingen nicht nur an den Tatsachen vorbei; die deutsche Seite hatte auch kaum Einfluss auf ihre Verbreitung und Kommentierung in der Weltpresse. Da half es auch nichts, dass sich der Kaiser mit den Propagandalügen seiner Militärs direkt an den amerikanischen Präsidenten Wilson wandte und ihm erklärte, dass seine Armeeführung gezwungen gewesen sei, »die blutdürstige Bevölkerung von der Fortsetzung ihrer schimpflichen Mord- und Schandtaten abzuschrecken«. 19
    Die deutsche Propaganda schreckte vor Erfindungen nicht weniger zurück als die ihrer Gegner. Dazu gehörten nicht nur Gräuelgeschichten aus Belgien, sondern auch aus Ostpreußen, in das Ende August 1914 zwei russische Armeen einmarschierten. Die deutschen Zeitungen berichteten bald breit über Plünderungen, Erschießungen und Vergewaltigungen, um den Krieg als legitimen Verteidigungskampf gegen eine barbarische Soldateska hinzustellen. Die Berichte waren nicht immer völlig aus der Luft gegriffen, aber doch stark übertrieben. Eine offizielle deutsche Untersuchungskommission stellte nach dem Krieg fest, dass sich die russischen Truppen der deutschen Zivilbevölkerung in Ostpreußen gegenüber im Allgemeinen korrekt verhalten hatten und dass die belegbaren Übergriffe auf die Disziplinlosigkeit von einzelnen Soldaten zurückzuführen waren. 20
    Die deutsche Propaganda war allerdings nicht immer auf Erfindungen oder Übertreibungen angewiesen, denn Verletzungen des Völkerrechts gab es auch auf der Seite der
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