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Das Buch mit dem Karfunkelstein

Das Buch mit dem Karfunkelstein

Titel: Das Buch mit dem Karfunkelstein
Autoren: dtv
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Erschrocken blickte Paul in die eisblauen Augen des Abtes, der ihm gegenüber in der Mitte der Bank thronte. Paul merkte,
     wie seine Knie weich wurden.
    Urban von Angeberg war ein hagerer, strenger Mann. Von seinen Entscheidungen hing das Wohl des Klosters ab. Er musste auch
     dafür sorgen, dass die Ordnung nach der Regel des Heiligen Benedikt eingehalten wurde. Dazu gehörte, dass es keinen Streit,
     keinen Hochmut, Trotz oder Ungehorsam in der Gemeinschaft gab. Wer sich nicht an die Regel hielt und damit Unruhe stiftete,
     wurde bestraft. Auch die Strafen hatte der heilige Ordensgründer Benedikt aufgeschrieben. Abt Urban hatte jedoch den Ruf,
     in seinen Urteilen stets streng, aber gerecht zu sein.
    Fragend blickte der Abt nun auf Paul, dann auf BruderLambert, der sofort aufsprang und der Versammlung mit lauter Stimme verkündete: »Es geht um den Oblaten Paul, den ihr hier
     vor euch seht. Ich beschuldige ihn, ein kostbares Buch aus der Bibliothek gestohlen zu haben. Das Buch mit dem Karfunkelstein,
     die wertvolle Schenkung seines Vaters an das Kloster.«
    Paul wurde bleich vor Entsetzen. Was? Das war ja ungeheuerlich! Empört blickte er den Abt an. Urban sah ihm jedoch so streng
     in die Augen, dass Paul den Kopf senkte. Er durfte nicht sprechen, wenn der Abt ihn nicht dazu aufforderte.
    »Weiter!« Der Abt wandte sich wieder Bruder Lambert zu. »Worauf gründet sich deine Anschuldigung, Bruder?«
    Lambert berichtete nun, dass Bruder Gregor vor der Morgenandacht das Fehlen des Buches in seiner Bibliothek bemerkt und ihn
     sofort davon unterrichtet hatte. Und Lambert war gleich eingefallen, dass Paul am Abend zuvor nicht bei der Vesper gewesen
     war, sondern heimlich aus dem Skriptorium, das direkt unter der Bibliothek lag, geschlichen war. Vermutlich hatte er da das
     Buch unter seinem Umhang versteckt.
    Paul wirbelte der Kopf. Schlagartig wurde ihm klar, dass er sich nicht verteidigen konnte, ohne von den Pergamentbögen zu
     erzählen. Was würde dann Bruder Gregor von ihm denken? Wie würde die Strafe aussehen, die ihn erwartete? Er war in einer schrecklichen
     Lage.
    Der Abt blickte den Bibliothekar fragend an.
    »Ja, Ehrwürdiger Vater«, nickte Bruder Gregor. »Das Buch ist verschwunden. Es ist ein großer Verlust für unsere Bibliothek.
     Ich glaube allerdings nicht, dass Paul   …«
    »Wahrscheinlich ist das Buch jetzt in der Truhe des Oblaten«, unterbrach Lambert ihn verächtlich. »Dort verstecken sie ja
     meistens Dinge, wenn sie auf unerlaubten Besitz nicht verzichten können. Solche Menschen haben im Kloster nichts zu suchen!«
    Aber der Mönch, der von Abt Urban geschickt wurde, um Pauls Truhe zu untersuchen, kam mit leeren Händen zurück.
    »Warst du in der Bibliothek?«, fragte Urban den Jungen.
    »Nein, Ehrwürdiger Vater!«, antwortete Paul wahrheitsgemäß. Seine Stimme zitterte, dabei stimmte es ja wirklich. Er war der
     Treppe zur Bibliothek noch nicht einmal nahe gekommen.
    »Hast du das Buch gestohlen?«
    »Nein, Ehrwürdiger Vater!«
    »Was hattest du dann zur Zeit der Vesper im Skriptorium zu suchen?«
    Hilfe suchend blickte Paul zu Bruder Gregor, dem Bibliothekar, hinüber. Aber der sah ihn nur traurig an. Er durfte das Verhör
     des Abtes nicht unterbrechen.
    »Nichts«, flüsterte Paul und wurde rot.
    »Warum warst du dann dort?«
    Paul schüttelte den Kopf und schwieg.
    »Verstockt und widerspenstig!«, warf Lambert dazwischen und erntete einen missbilligenden Blick des Abtes.Urban hatte ihn nicht aufgefordert zu sprechen. Sofort senkte Lambert wieder demütig den Kopf.
    Der Abt schwieg, bis die Stille auf allen lastete. Pauls Magen verkrampfte sich immer mehr. Jetzt konnte er unmöglich von
     den Pergamentbögen erzählen! Es hätte seine Lage unerträglich gemacht. Und seine Strafe wahrscheinlich auch.
    Endlich brach Urban sein Schweigen.
    »Nun, du hattest Gelegenheit, dich vor allen Brüdern zu erklären. Da du die Anschuldigung nicht entkräften kannst, muss ich
     sie für richtig halten. Du bist erst seit zwei Wochen hier und vieles fällt dir noch schwer, aber du musst es lernen. Du wirst
     zur Buße bei Wasser und Brot fasten und dein Essen allein zu dir nehmen, bis du das gestohlene Buch freiwillig wieder herausgibst.
     Außerdem findest du dich jeden Nachmittag zur dritten Stunde im Refektorium ein, wo die Brüder ihr Essen einnehmen, und wirst
     der Tischlesung zuhören. Ich bestimme Bruder Gregor zu deinem geistlichen Vater. Wenn dir also etwas auf der Seele
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