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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse
Autoren: Per Olov Enquist
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Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.
    Und dann waren Siklund und die Katze gestorben. Und hier kämpfte er mit neun leeren Blättern eines Notizblocks. Von Kindern, Toren und Katzen soll man die Wahrheit hören.
    Die Seiten legt er in Plastikhüllen. Dort setzt er sich zusammen, wenn denn das, was er schrieb, wirklich er selbst war. Das Sagbare sollten Stücke des Lebens sein, das er gelebt hat. Das Unsagbare waren Bilder auf Projektionsschirmen, die sich drehten und einander verdeckten, unbarmherzig, wie falsch belichtete Bilder. Oder neun unbenutzte Blätter eines Notizblocks. Klug von der Mutter, sie zu verbrennen. Dumm, es sich anders zu überlegen?
    Eine Anzeige. Für die Beerdigung der Frau vom Larssonhof.
    Ort und Zeit und ihr Name, kein Kommentar. Kein Absender. Auch nicht auf der Rückseite des Umschlags. Aber sie war ausgeschnitten worden. Und geschickt worden. So hatte es angefangen: Ihm war eine ausgeschnittene Todesanzeige zugeschickt worden.
    Es war unbegreiflich. Er hatte sich gefügt.
    *
    Er hatte den Wagen genommen, es war ein Saab 900, und den Weg zum Waldfriedhof in Stockholm herausgefunden.
    Der Friedhof war ja ein wenig berühmt, stand irgendwie unter Denkmalschutz, enorme Offenheit und wogende Felder und Gedenkhaine. Dort konnte man ausgestreut werden. Dies mit dem Ausgestreutwerden war vielleicht besonders geeignet für jene, die eine bestimmte Auffassung über Jesu zweite Wiederkehr hatten und sich nicht viel daraus machten, was mit dem körperlichen Teil geschehen würde. Sie waren sich sicher, dass es die Seele war, die aufgenommen würde. Für diese gab es den Hain, wo man die Asche ausstreuen konnte. Und keine Angst haben musste, zurückgelassen zu werden.
    Da kam dieses Wort wieder. Zurückgelassen !
    Am Ende hatte er verstanden, dass das Wort »zurückgelassen« keinen Zusammenhang mit seinen drei Ehen hatte, oder mit der schönen Psychoanalytikerin, die der Ansicht war, dass sich dort, in diesem geheimnisvollen Wort, der Schlüssel zu seinen Katastrophen befand. Oder zu seinem Vater, oder zu dem zurückgelassenen Notizblock des Vaters mit den neun herausgerissenen Blättern.
    Anfänglich war es ein spannendes Rätsel gewesen, das von Jesu zweiter Wiederkehr handelte. Danach etwas Schlimmeres.
    Er ließ den Saab langsam auf den Fahrwegen dahingleiten, die den Skogskyrkogården durchkreuzten.
    Er war früh dran.
    Wie konnte er sich vorbereiten? Würde er, noch einmal und nach so vielen Jahren, hier an dem denkmalgeschützten Ort für die Plazierung von Leichen, für den er von den Herrnhutern einmal die Bezeichnung Gottesacker gelernt hatte, würde er hier und angesichts der letzten Begegnung mit der Frau vom Larssonhof von dieser Vorstellung vom Heer der zurückgelassenen verlorenen Sünder durchströmt werden? Als Erwachsener hatte er nur unklare Erinnerungsbilder an diese albtraumartigen Vorstellungen; aber er erinnerte sich jetzt, ungefähr , dass plötzlich, wie ein Dieb in der Nacht!, Jesus zu seiner zweiten Wiederkehr erscheinen würde. Und dann die Hälfte des Menschenhaufens mit sich empornehmen würde. So hatte er damals gemäß der Schrift gedacht, ungefähr. Empor, also mit der Hälfte der Bevölkerung, und die Sündigen tausend Jahre zurücklassen.
    Eine nur von den Sündern bevölkerte Erde! Die sich dann nur damit beschäftigen würden, zu sündigen! Intensiv zu sündigen! Weil der Gedanke an die ewigen Strafen, die später verhängt werden sollten, so fürchterlich war, dass das Einzige, was man tun konnte, um ein wenig Spaß zu haben, war, sich der Sünde in die Arme zu werfen, als wäre die Sünde eine liederliche Frau. Wenn aber einer aufgenommen werden und einer zurückgelassen werden soll, wie verhielt es sich dann in seiner Familie?
    Dass Eeva-Lisa zurückgelassen werden würde, war ja klargestellt. Die Mutter hatte klargestellt, dass sie eine Sünderin war. Der Vater? Er war ja schon aufgenommen! Also falls Jesus ihn nicht im Sarg zurückgelassen hatte? Und ihn nicht erst in dem Augenblick aufnehmen würde, in dem die Aufnahme der Masse erfolgte?
    Der Vater also vergessen in seinem Sarg, wenngleich fotografiert? Und obwohl er den Mund siebzig Jahre später in einem kleinen Lächeln bewegte, auf dem Foto in dem Handy, das sein Enkel gezeigt hatte?
    Wie handhabte Gott das eigentlich mit diesen Toten.
    Es begann zu regnen, leicht und warm.
    Er hielt den Saab zweihundert Meter vor der kleinen Kapelle an, in der sie um 15.00 Uhr der Ewigkeit
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