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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse
Autoren: Per Olov Enquist
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übergeben werden sollte. Plötzlich schlug es über ihm zusammen, wie eine Flutwelle, diese ganze Vorstellungswelt, die die wachen Tage und Nächte des Kindes bevölkert und später Jahr um Jahr seine leeren Notizblätter ausgefüllt hatte.
    Was geschah am Jüngsten Tag mit denen, die bereits tot waren? War der Geist aufgenommen worden oder eher die Seele, so dass der Körper sozusagen seelenlos noch auf der Erde weilte; war es so, dass, wenn Jesus zurückkam und die Erlösten aufnahm, er nur ihre Seelen aufnahm, so dass die Körper seelenlos zurückblieben? Man konnte sie dann vielleicht umherwandern sehen! Aber ohne Seele? Als Zombies? In den Erbauungsbüchern hatten sie von den seelenlosen Heiden lesen können, die Zombies genannt wurden: Lebten diese auch mitten unter dem Volkshaufen im Kirchspiel Bureå? Oder, das war das Erschreckendste, hatten die Gläubigen und in Heimlichkeit schon Aufgenommenen ihre Körper zurückgelassen?
    Falls es so war, dann waren ja die Körper der warm und innig Frommen etwas ganz Entsetzliches! Hatte das Kind im Gebet zu sich selbst geflüstert.
    Wie wusste man, zum Beispiel in Hjoggböle, welche Menschen nur umherwandernde Seelenlose, also bereits Aufgenommene waren? War das eine Erklärung dafür, dass manche gleichsam gemein wurden, besonders die Mutter mit Namen Tyra, die dadurch, dass sie den Verlobten der Tochter wegen Unglaubens hinauswarf, bewirkte, dass die Großkusine verrückt wurde? Dass manche, von denen er eigentlich meinte, sie seien fast böse unter der frommen Schale , dass diese Scheinfrommen den Teufel in sich zurückgelassen und emporgeflohen waren, Hand in Hand mit Jesus, mit der warm oder kochend heiß gläubigen Seele als Eintrittskarte? Wie verhielt es sich dann mit den Abfotografierten im Sarg?
    Waren diese tatsächlich Zombies? Konnte man vielleicht, auf dem Leichenfoto, sehen, ob sie die Mundlippen in einem kleinen, aber vielsagenden Lächeln bewegten?
    War jeder Mensch ein Heiliger und ein Teufel zugleich? War die sexuelle Lust daraus zu erklären? Und war es so, dass die Heiden, die nicht glaubten oder Gott verleugneten, oder während der Gottesdienstzeit Fußball spielten, dass dies erklärte, dass sie so viel netter waren, oder auf jeden Fall lustiger? Weil sie trotz allem noch ihre Seele hatten?
    Wie es um diese auch bestellt sein mochte? Unaufgenommen, aber gut und teuflisch zugleich.
    Hatte er selbst in einem Dasein gelebt, wo seine Seele aufgenommen war, da Jesu zweite Wiederkehr schon stattgefunden hatte? Die Seele schon auf eine geheimnisvolle Art und Weise aufgenommen! Während der Körper zurückgelassen worden war! Und war dies die Erklärung dafür, dass das fischartige Starren des von der Nabelschnur erdrosselten Bruders auf dem Leichenfoto dank dem Fotografen Amandus Nygren in kindliche Schönheit verwandelt worden war; oder war es der Unterschied zwischen aufgenommener Seele und zurückgelassener Schlangenhaut? War es so, dass der sündenfreie Bruder im eigentlichen Sinne emporgerissen worden war? Und dass auch ein dem Anschein nach gut trainierter und ranker Körper, wie die Frau auf dem Larssonhof es ausgedrückt hatte, gleichsam eine Schlangenhaut war!
    Und dass diese Schlangenhaut dann er sein konnte , und dass diese Schale das war, was sich angesichts des Gedankens, tausend Jahre zu sündigen, ergötzte?
    Jesu furchtbare zweite Wiederkehr.
    Er hatte, nachdem er zum ersten Mal mühsam die Bedeutung der von Prediger Forsell vorgetragenen Verkündigung erfasst hatte, die Mutter um Rat zu fragen versucht, aber sie hatte sich nur geziert.
    Aber der Vater? Hatte er beharrlich weiter gefragt. War auch ihm gleichsam die Seele abgezapft worden? Dann, könnte man im Nachhinein zusammenfassen, war es ja klar, als der Block gefunden und zurückgeschickt worden war, dass die neun Blätter, ja, leer waren. Sie würden am Jüngsten Tag beschrieben und ausgefüllt werden! Das war selbstverständlich so.
    Die aufgezeichnete Seele.
    Da hatte er, gleichsam für sich selbst, die Voraussetzungen der Familie vor dem Aufbruch nach oben aufgelistet.
    Die Mutter konnte ja, unter gar keinen Umständen, bei den Sündigen und Verlorenen zurückgelassen werden. Ihr warmer Glaube und ihre gesunde Bekenntnisüberzeugung waren ja über jeden Zweifel erhaben. Einmal hatte er sie gefragt, von welchen Menschen sie vermute, dass sie mit den Heiligen aufgenommen würden, oder welche zurückbleiben würden, und hatte außerdem eine Klarstellung haben wollen, wo der Vater
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