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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse
Autoren: Per Olov Enquist
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sich eigentlich befand – oben oder unten : mit der Seele aufgenommen, aber mit dem Körper noch da? Oder ob die Seele noch im Körper wartete? Und ob sie glaube, dass einige innig Gläubige, die schon aufgenommen waren, hier als Zombies umhergingen?
    Da war sie zwar abrupt verstummt, und ein paar Tränen hatten ihr schönes Antlitz durchkreuzt, aber es sei doch selbstverständlich, wie es mit dem Vater war, hatte sie ganz kurz resümiert, nach näherem Gebetsnachdenken.
    Der Gatte wartete ja oben. Der Körper im Sarg leer wie eine Schlangenhaut.
    Einer soll aufgenommen werden, und einer soll zurückgelassen werden. Eins plus eins macht zwei. Würden es dann er selbst und Eeva-Lisa sein, die unter den Elenden zurückblieben? Was sollten sie dann tun?
    Bei dem Gedanken stieß er oft auf Grund: dass sie zurückbleiben würden . Es war schrecklich, aber schön. Allein darüber zu phantasieren, wie sie sündigen würden! Weit hinein in den Herbst des Alters, wenn die Nähe des Todes immer intensiver empfunden wurde und der Abstand zum Fluss schrumpfte und die vorwurfsvollen Augen der Freunde immer vielsagender wurden, war es dieses Dasein in einer von zurückgelassenen Sündern bevölkerten Welt, das ihn lockte: zuerst, als er klein war, wie eine kleine, kleine Sündengrube mit ihm und Eeva-Lisa, zwei eingerollte Blindschleichen, eine schwarz und eine weiß; die schwarze war Eeva-Lisa.
    Später jedoch, gleichsam in dem erwachsenen Traum, als das, was hängenblieb, wichtig war, und nicht nur ein Trost, da wurde die Gewissheit undeutlicher. Als habe sich Eeva-Lisa in die Frau auf dem Fußboden in der Larssonküche verwandelt. Denn es war ja klar, dass auch sie eine Zurückgelassene war! Wer, wenn nicht sie!
    Nachdem diese Frau dort drinnen bei Larssons sich tatsächlich seiner erbarmt hatte! Auf dem Fußboden, astfreie Kiefer! Und ihn nie verlassen würde, weil sie sich entweder schämen oder Angst vor ihm haben würde oder ihn liebte.
    War dies dann die Liebe. Schon als Kind, und äußerlich rank, hatte er verstanden, dass die Liebe wie dieses Rätsel war. Sie war ein Gleichnis, mit Jesu zweiter Wiederkehr als dem eigentlichen Schlüsselproblem.
    Die Frau vom Larssonhof sollte jetzt beerdigt werden. Sie hatte nach ihm gerufen, quer über das strömende Wasser. Und er hatte gehorcht.
    *
    Fünf Schwarzgekleidete hasteten in die Kapelle.
    Alles kam ihm so wunderlich vor. Er saß in dem Saab, dessen Motor ausgeschaltet war, und atmete tief durch.
    Hatte sie nach ihrem Tod nach ihm gerufen? Wollte sie etwas sagen?
    Er versuchte sich seine kindliche Angst vor den ihrer Seele Entleerten, die aufgenommen waren, in Erinnerung zu rufen. Die richtig Frommen waren die Erschreckenden. War es vielleicht so, dass das Menschwerden darin bestand, in Sünde getauft zu werden, und dass dies der Sinn des Lebens war? Kein Wunder dann, dass er vor seiner eigenen Witterung zurückschreckte! Und davongelaufen war vor dem, was das eigentliche Leben war! War es dies, was der Kreuzfuchs ihm in sein überempfindliches Gewissen einzubimsen versucht hatte, mit seinen blechern klingenden Warnrufen, eines der Male, als der Fuchs hinter dem Lokus gesessen und den Großvater und den Enkel auf seinem Schoß betrachtet hatte?
    Was wollte sie ihm durch den unbekannten Boten, der ihm die ausgeschnittene Todesanzeige geschickt hatte, sagen. Sie, diese Maria, die ihm die Tür zum Leben geöffnet hatte und als Belohnung vielleicht in Angst leben musste. Sie wollte vielleicht nur adieu sagen?
    Hatte sie ihn von der anderen Seite gerufen?
    Es kamen noch weitere zehn Personen, sie gingen hinein, alle hatten Blumen dabei, sah er und war froh, dass er daran gedacht hatte, welche zu kaufen.
    Dann blieb es einige Minuten ziemlich leer, am Schluss kam eine junge Frau auf dem Fahrrad, sie hatte es eilig, warf das Fahrrad an die Wand der Kapelle und lief hinein. Danach keiner mehr.
    Er öffnete die Wagentür und stieg aus. Der Wagen konnte wohl so stehen bleiben. Dann ging er über den Rasen zur Kapelle, und jetzt war er sicher, dass er der Letzte war, so war es am besten.
    Er öffnete die Tür und trat ein. Niemand drehte sich um. Er setzte sich in die letzte Bank auf der linken Seite. Die Kapelle war ja nicht so groß, sie war etwa zur Hälfte besetzt. Ganz vorn stand der Sarg, er war braun. An der Schmalseite eine Fotografie der Verstorbenen.
    Ja. Das war sie.
    Jemand hielt eine Rede.
    Der Redner hatte ihm nicht so viel zu sagen, trotz der deutlichen Bewegungen seiner
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