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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse
Autoren: Per Olov Enquist
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dass du es nicht begreifst? Du, der du gesund bist und an den der Ruf nicht ergangen ist? Oder zeichnest du nur auf, damit es nicht offenbleibt? Und das war ja eine komische Frage, die er jedoch mit einem ruhigen Bejahen beantwortet hatte. Damit es nicht offenbleibt.
    Man will ja nicht, dass es offenbleibt, nachdem man eingeschlafen ist, also nachdem man gegangen ist, als bestünde das Lebensende aus völlig leeren Seiten; und er hatte dann zum Zwecke der Ablenkung, oder weil er ganz verzweifelt war, sich dies jedoch nicht anmerken lassen wollte, begonnen, T über die hinterlassene Leere des Vaters, die neun Blätter, zu informieren, doch dies hatte den Zuhörer T vielleicht nicht so sehr interessiert; dieser hatte ihn beinahe brüsk unterbrochen und gefragt Wie weiß man, was scharf ist und was sich nur unklar im Nebel abzeichnet? Dann ist es ja nur eine Halluzination?
    Ja, aber vielleicht ist es so, hatte er geantwortet. Das war das Leben. Eine Halluzination oder eine doppelt belichtete Fotografie, auf der man nur mit Mühe die Mundbewegungen des Vaters erkennen konnte. Und dass man jetzt gezwungen war, es genauso aufzuzeichnen! Da hatte T gesagt: Aber das Scharfe? Wie kannst du es von dem unterscheiden, was du im Nebel fast nicht siehst?
    Eine Stunde hatte das Gespräch gedauert.
    Nachher tat es weiter weh. Früher hatte man wenigstens eine Bibel, man konnte eine Daumenlosung nehmen, und da hatte man die Antwort. Was war richtig scharf? Die Frau auf dem astfreien Kiefernholzboden? War dies das richtige und eigentliche Leben? Und die Liebe?
    Und das andere waren nur Lichtungen im Nebel?
    Nein, so konnte es nicht sein. Aber er hatte beschlossen, dass es so niedergeschrieben werden sollte. Nur als Trost, zum Beispiel. Ein Trost, dass es einige Stunden gegeben hatte, in denen er durchgekommen war, und das Wunder erlebt hatte, und auf der anderen Seite herausgekommen war.
    Ungefähr so. Ein Trost, damit kein Rest offenblieb.
    *
    Er hält noch einmal den Notizblock in der Hand und bietet Frieden. Öffnet die Schreibtischschublade, schließt das Rätsel ein. Genug davon.
    Genug davon?
    Die neun Blätter waren vielleicht leer. Das Leben war voller Zeichen, aber sie hinterließen keine Abdrücke für den, der Angst hatte. Wenn sie von ihm selbst handelten, musste er wohl die Augen aufmachen.
    Er reißt die Baugerüste ab, das ist wohl das Letzte, das was man abreißen muss. Dahinter findet sich – hoffentlich? – zumindest ein kleiner kindlicher Kern? Wie als es anfing?
    Nicht nichts.
    Dieses schwache jammernde Wimmern, wie von dem Hund, der zu seiner Witterung hingefunden hatte und nicht fliehen konnte?
    Wird es nie ein Ende nehmen? Doch, einmal. Nicht jetzt.

Kapitel 9
Das Gleichnis
von Jesu zweiter Wiederkehr
    Der Brief war ein weißer A5-Umschlag, adressiert an ihn, c/o Verlag P.A. Norstedts & Söner, Tryckerigatan 2, Stockholm, keine Postleitzahl und kein Absender auf der Rückseite. Im Brief ein Zeitungsausschnitt. Es war eine kurze Mitteilung, dass sie tot war. Dass die Beerdigung in aller Stille auf dem Skogskyrkogården in Stockholm stattfinden würde; Zeit und Ort.
    Der Verlag hatte den Brief nachgesandt. Er öffnete ihn. Jemand hatte ihn geschickt.
    Er archiviert, weit später, Papiere aus dem Frühjahr 2011, ein raschelndes Geräusch von Papier, als hätten die Blätter draußen im Schnee gelegen. Das Geräusch war, wie es sein sollte, oder wie es eben war.
    Kein Liebesroman?
    Eine Schar bald sterbender Freunde zieht sich gespenstisch durch die Notate, er wirkt in diesen krampfartigen Bekenntnissen panisch, aber die Freunde leben trotz allem noch, betrachten ihn, ganz und gar nicht sterbend, im Gegenteil, sie bewachen ihn mit strengen und ganz und gar nicht glänzenden Augen.
    Nur er selbst wackelt vorwärts. Er hat eine wiederkehrende Vorstellung von Baugerüsten, die abgerissen werden müssen . Und wenn sie alle abgerissen sind, soll dort drinnen etwas übrig sein, sehr klein, aber wahr. Er reißt sie ab. Es ist notwendig. Man kann sonst nicht überleben.
    Und etwas muss dort drinnen doch sein. Welchen Sinn hätte es sonst.
    Ein eigentümlicher Ton von zu spät! du schaffst es nicht! in dem, was er geschrieben hat.
    Und dann diese Fixierung auf den Sinn. Was hatte die Katze Kim zu Siklund gesagt, kurz bevor er starb? Die Lösung des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit liegt außerhalb von Raum und Zeit. Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in der Welt.
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