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Das Böse unter der Sonne

Das Böse unter der Sonne

Titel: Das Böse unter der Sonne
Autoren: Agatha Christie
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manche zwanzig oder älter.
    Nachdenklich nahm Linda erst eines, dann ein anderes heraus und blätterte in ihnen. Sie entschied, dass sie «Die vier Federn» unmöglich lesen konnte. Dann entdeckte sie einen schmalen in braunes Leder gebundenen Band. Sie vertiefte sich in seinen Inhalt.
    Als sie plötzlich Christine Redferns Stimme neben sich hörte, stellte sie das Buch erschrocken ins Regal zurück.
    «Was liest du denn Schönes, Linda?», fragte Christine.
    «Nichts Besonderes. Ich suche einen guten Roman.» Sie nahm das nächstbeste Buch heraus – es war «Die Ehe des William Ahse» – und ging damit zur Theke.
    Christine blieb an ihrer Seite. «Mr Blatt hat mich hergefahren – nachdem er mich beinahe überrollt hätte. Aber ich hätte es nicht mehr ertragen, mit ihm über den Damm zum Hotel zu gehen, und deshalb habe ich gesagt, dass ich noch etwas einkaufen müsste.»
    «Er ist widerlich, nicht wahr?», sagte Linda. «Immer reibt er einem unter die Nase, wie reich er ist. Und dann macht er ständig die dümmsten Witze.»
    «Der arme Kerl. Er kann einem wirklich Leid tun.»
    Linda war anderer Meinung. Sie war jung und unbarmherzig. Gemeinsam verließen sie den Laden und schlenderten auf den Damm zu. Linda schwieg gedankenversunken. Sie mochte Christine Redfern. Ihrer Meinung nach waren sie und Rosamund Darnley die einzigen erträglichen Menschen auf der Insel. Keine der beiden Frauen unterhielt sich viel mit ihr, und das gefiel Linda. Auch jetzt redete Christine nicht. Sehr vernünftig, dachte Linda. Wenn man sich nichts zu sagen hatte, warum dann ständig drauflosplappern?
    «Mrs Redfern», sagte sie plötzlich, «haben Sie auch schon mal das Gefühl gehabt, dass alles schrecklich ist, dass – dass man am liebsten zerspringen würde…?»
    Die Worte klangen fast komisch, aber Lindas Gesicht war ernst, beinahe ängstlich. Christine Redfern, die sie zuerst erstaunt angesehen hatte, begann zu begreifen. Ganz sicher gab es da nichts, worüber man sich hätte lustig machen können. Sie holte kurz Luft und erwiderte: «Ja, ja – ich habe mich auch schon mal so gefühlt…»
    «Aha, Sie sind also der berühmte Detektiv?», fragte Mr Blatt. Sie saßen in der Cocktailbar, wo Mr Blatt häufig zu finden war.
    Mit seinem üblichen Mangel an Bescheidenheit bestätigte Hercule Poirot Blatts Frage.
    «Und warum sind Sie hier?», bohrte Mr Blatt. «Aus beruflichen Gründen?»
    «Nein, nein. Ich erhole mich hier. Ich verbringe die Ferien im Jolly Rogen.»
    «Sie würden es wohl kaum zugeben, was?» Mr Blatt zwinkerte ihm zu.
    «Warum denn nicht?», erwiderte Poirot.
    «Dann mal los! Mir können Sie doch vertrauen! Ich erzähle nicht alles weiter, was ich so höre. Ich habe schon vor vielen Jahren gelernt, den Mund zu halten. Sonst hätte ich nicht das erreicht, was ich erreicht habe. Sie kennen die Leute ja – alles, was sie hören, müssen sie weitererzählen und zerreden. In Ihrem Beruf können Sie sich das nicht leisten. Und deshalb müssen Sie so tun, als seien Sie privat hier.»
    «Welchen Grund haben Sie zu dieser Annahme?», fragte Poirot.
    Mr Blatt zwinkerte wieder. «Ich bin Menschenkenner. Ich weiß, wie man die Leute beurteilen muss. Ein Mann wie Sie würde in Deauville oder Le Touquet oder Juan les Pins Ferien machen. Das ist – wie sagt man doch – das ist Ihre geistige Heimat.»
    Poirot seufzte. Er blickte aus dem Fenster. Es regnete, die Insel war vom Nebel eingehüllt. «Vielleicht haben Sie Recht», antwortete er. «Zumindest gibt es dort bei schlechtem Wetter gewisse Möglichkeiten, sich zu zerstreuen.»
    «Das gute alte Spielkasino!», rief Mr Blatt. «Wissen Sie, ich habe mein Leben lang hart arbeiten müssen. Keine Zeit für Ferien oder Hobbys oder irgendwelche andern Spielereien. Ich wollte im Leben etwas erreichen, und das habe ich auch. Jetzt kann ich tun, was mir passt. Mein Geld ist genauso gut wie das andrer Leute. In den letzten paar Jahren habe ich eine Menge erlebt, das kann ich Ihnen verraten.»
    «Ach ja?», bemerkte Poirot.
    «Mir ist nicht ganz klar, warum ich hierher gekommen bin», fuhr Mr Blatt fort.
    «Das habe ich mich auch schon gefragt.»
    «Was? Wieso?»
    Poirot machte eine beredte Handbewegung. «Ich verfüge auch über eine gewisse Beobachtungsgabe. Von Ihnen hätte ich erwartet, dass Sie nach Deauville fahren oder Biarritz.»
    «Stattdessen hocken wir beide hier, was?» Mr Blatt stieß ein raues Kichern aus.
    «Ich weiß wirklich nicht, was ich hier will», meinte er
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