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Das Blut des Teufels

Titel: Das Blut des Teufels
Autoren: James Rollins
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nichts mehr. Schließlich hätte er bloß ein Leben in Armut zu erwarten. Die beiden hatten bereits Pläne geschmiedet, gemeinsam nach New York zurückzukehren.
    Auf der anderen Seite der Landebahn flammten unermüdlich Blitzlichter auf.
Sam wanderte noch weiter zurück und stellte sich neben eine Tragfläche des Flugzeugs, weitab von der Menge. Er musste einen Moment in Ruhe nachdenken. Seit dem Tod seiner Eltern waren er und Onkel Hank unzertrennlich gewesen. Ihr Kummer hatte ein Band geschmiedet, das beider Herzen aneinander gefesselt und niemandem den Zutritt gestattet hatte. Er sah zu seinem Onkel hinüber. Sollte heißen, bis jetzt.
Er war sich seiner Gefühle über die Sache nicht im Klaren. Zu viel war geschehen. Er fühlte sich losgelöst, losgebunden von einem Ort, der ihm Geborgenheit geschenkt hatte. Jetzt trieb er umher und alte Erinnerungen drangen auf ihn ein: das Quietschen der Reifen, verbogenes Blech, zerbrochenes Glas, Sirenen, seine Mutter, deren einer Arm herabbaumelte, als sie auf einer Rettungstrage aus dem Wrack gezogen wurde.
Plötzlich traten ihm Tränen in die Augen. Warum zerrte er das alles jetzt wieder hervor? Aber die Schleusen waren geöffnet und er konnte die Tränen nicht mehr aufhalten.
Dann spürte er jemanden hinter sich.
Er drehte sich um. Maggie stand da und sah mit großen Augen zu ihm auf.
Wo er Erheiterung oder eine schneidende Bemerkung über seine Reaktion erwartet hatte, fand er lediglich Besorgnis. Einer der Sanitäter hatte ihr eine leuchtend gelbe Rettungsdecke überlassen, in die sich Maggie gegen die kühle nachmittägliche Brise eingehüllt hatte. Leise sagte sie: »Es ist wegen deines Onkels und dieser Frau, hab ich Recht? Du hast das Gefühl, ihn zu verlieren.«
Er lächelte sie an und wischte sich grob die Tränen weg. »Ich weiß, es ist dumm«, meinte er, die Kehle wie zugeschnürt. »Aber es ist nicht bloß Onkel Hank. Es ist mehr als das. Es sind auch meine Eltern, es ist Ralph … es ist alles, was der Tod uns nimmt.«
Sam bemühte sich verzweifelt, seinen Gefühlen Worte zu verleihen, und starrte dabei zum Himmel hinauf. Er brauchte jemanden zum Zuhören. »Warum durfte ich weiterleben?« Er winkte mit dem Arm zu den fernen Anden hinüber. »Da oben … und damals bei meinen Eltern im Autowrack …«
Jetzt stand Maggie dicht vor ihm. Ihre Zehen berührten einander fast. »Und ich in einem Graben in Belfast.«
Er beugte sich zu ihr und wusste, dass sie seinen Schmerz mehr als jeder andere verstehen konnte. »W… warum?«, fragte er leise und schluckte einen Schluchzer hinunter. »Du weißt, wovon ich spreche. Wie lautet die Antwort? Ich bin, Gott verdammt nochmal, sogar gestorben und wieder auferstanden! Und ich habe nach wie vor nicht den kleinsten Hinweis auf den Grund dafür!«
»Auf manche Fragen gibt es keine Antworten.« Maggie berührte ihn an der Wange. »Aber in Wahrheit bist du nicht dem Tod entkommen, Sam. Das kann keiner von uns. Er ist immer noch da draußen. Letzten Endes konnten ihm nicht einmal die Inka entkommen.« Sie zog Sam näher zu sich. »Jahrelang habe ich versucht, vor ihm davonzulaufen, während du dich Rücken an Rücken mit deinem Onkel gegen ihn gewehrt hast. Aber keines von beidem ist gesund, weil der Tod am Ende immer Sieger bleibt. Ihn zu verdrängen kann nur schlimm enden.«
»Was tun wir dann?« Flehend sah er sie an.
Maggie seufzte traurig. »Wir bemühen uns, unser Leben so gut wie möglich zu leben.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Wir leben einfach, Sam.«
Er spürte erneut Tränen. »Aber ich versteh’s nicht. Wie …?«
»Sam«, unterbrach Maggie und legte ihm einen Finger auf die Lippen. Mit einem leisen Rascheln rutschte ihr die Rettungsdecke von den Schultern.
»Was ist?«
»Halt den Mund und küss mich.«
Er blinzelte bei ihren Worten und ertappte sich dann dabei, dass er sich ihr entgegenbeugte. Geführt von ihren Händen entdeckte er ihre Lippen, versank in ihrer Weichheit und Wärme und allmählich dämmerte ihm die Erkenntnis.
Das ist der Grund, weshalb wir leben.
Zunächst küsste er sie zaghaft, dann leidenschaftlicher. Das Blut sauste ihm in den Ohren. Er merkte, dass er Maggie näher zu sich zog, während sie seinen Hals umklammerte, die Hände in seine Haare vergrub und ihm den Stetson vom Kopf stieß. Sie wollten einander so nahe kommen wie möglich, damit kein Platz mehr zwischen ihnen bliebe.
Und in diesem Augenblick wurde es Sam ganz leicht ums Herz, denn er verstand.
In diesem Kuss lag kein Kummer …
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