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Das Blut Des Daemons

Titel: Das Blut Des Daemons
Autoren: Lynn Raven
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für jemanden wie mich. Das Ende des Seiles hinüberzubefördern war damals schon ein kleines Kunststück. Dieses Mal wird es nicht anders.
    Erst beim dritten Versuch verhakt sich der Wurfanker auf der anderen Seite sicher. So, dass selbst ich ihn nicht wieder losreißen kann. Das Seil hier zu verankern ist vergleichsweise einfach. Ein Haken, dessen Ende man in den Felsen treibt und dessen Spitze man sich mittels eines Gewindes ins Gestein hineinspreizen lässt. Möglichst dicht über dem Boden. Vorspannen und dann mit einer Ratsche nachziehen, so fest es geht.
    Als ich endlich fertig bin, entspricht die Spannung des Seils nicht wirklich der eines Hochseils. Um das zu erreichen, wäre eine Ausrüstung nötig gewesen, für die hier kein Platz ist. So hat es eher Slackline-Tendenz.
    Ohne Schuhe steige ich auf das Seil. Brauche einen Moment, um mein Gleichgewicht zu finden. Hier, in einer Höhle, fühlt es sich anders unter den Füßen an als im Freien, wie ich es gewohnt bin. Es spricht nicht so, wie ich es kenne. Die Taschenlampe ist in einen Riss in den Felsen hinter mir geklemmt. Ihr Licht reicht mühelos bis zur gegenüberliegenden Wand.
    Die Arme leicht zur Seite gestreckt gehe ich los. Schritt. Ich muss ganz anders balancieren als auf einem richtig gespannten Seil. Schritt. Unter mir das schwarze Nichts. Schritt. Ein Teil von mir wartet auf den Ruck. Höhnt, dass das Seil plötzlich nicht mehr da sein wird. Wie damals. Schritt. Mir gegenüber zuckt mein Schatten. Schritt. Schritt …
    Es braucht einen gefährlich langen Schritt, um jenseits der Spalte vom Seil auf den Boden zu gelangen. Ich lasse mich von meinem eigenen Schwung gegen die Felswand tragen. Schließe für einenMoment die Augen. Meine Hände sind schweißnass. Wie jedes Mal seit meinem Sturz, wenn ich auf ein Seil gehe. Ein noch immer irgendwie zittriger Atemzug, ich stoße mich von dem rauen Stein ab. Auch auf dieser Seite ist der Sims gerade breit genug zum Stehen. Der Riss im Fels ist nur einen guten halben Meter von mir entfernt. Ungefähr in Schulterhöhe. Ich strecke den Arm hinein, soweit es geht. Den Ärmel muss ich bis zur Achsel hochschieben. Taste. Nichts. Nein! Das ist nicht möglich. Es kann niemand hier gewesen sein. Ich drücke mich fester gegen die Wand, gewinne ein paar Zentimeter. Taste wieder. Wieder nichts … Doch! Da! Gerade noch in Reichweite meiner Fingerspitzen. Dem Himmel sei Dank!
    Vorsichtig rolle ich das Röhrchen ein Stückchen weiter zu mir heran, bis ich es besser zu fassen bekomme, hole es behutsam endgültig aus seinem Versteck. Es funktioniert nur, wenn ich es längs zwischen zwei Finger klemme. Einzig auf diese Weise kann ich die Hand wieder aus dem Riss ziehen.
    Es ist nicht länger als mein Ringfinger. Mit ungefähr dem gleichen Umfang. Sein Gold ist matt geworden. Das Wachs, mit dem wir den Verschluss in seiner Mitte versiegelt haben, ist hart. Mit dem Fingernagel breche ich es auf. Das Gewinde kreischt, als ich es aufschraube, und im ersten Moment braucht es einiges an Kraft, ehe sich überhaupt etwas bewegt. In seinem Inneren verbirgt sich eine Glasphiole. Ebenfalls versiegelt. Und darin wiederum ein dunkles Pulver. Fast schwarz. Es rieselt von einer Seite auf die andere, als ich sie kippe. Wirkt … harmlos. Dabei sagt man ihm Unmögliches nach. Habe ich mir tatsächlich Sorgen gemacht, es könne in den vergangenen Jahrzehnten verrottet sein? Nachdem es zuvor Jahr hunderte überdauert hat? Was für ein Idiot ich doch bin.
    Verzeih mir, Papa. Ich verrate, was dir heilig war. Aber … das hier bedeute mir nichts und Dawn … alles.
    Ich schraube die goldene Hülle wieder zusammen. Erneut Kreischen.
    Am einen Ende ist eine Öse. Gut möglich, dass einer meinerVorgänger es immer bei sich getragen hat. Vielleicht ist es tatsächlich besser, wenn ich es nicht einfach in die Hosentasche stecke. Meine Hände zittern ein wenig, als ich es zu dem St.-Georgs-Amulett an meine Kette fasse. Ich lasse sie unter mein Hemd zurückgleiten. Das Gold des Röhrchens fühlt sich kalt und auf verwirrende Weise zugleich warm an.
    Ich brauche zwei Anläufe, um zurück auf das Seil zu kommen. Es ist schlicht knapp zehn Zentimeter zu weit über dem Boden, um für mich noch bequem zu sein. Und abermals fühlt es sich auf dem Weg hinüber irritierend fremd unter den Füßen an. Die Stimme ist wieder da. Vielleicht hätte ich in den letzten Jahren ein bisschen häufiger auf ein Seil gehen sollen, um sie gründlicher zum Schweigen zu
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