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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia
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klammerten, ratterten Salven einer automatischen Waffe…
    Auch Guilford wurde getroffen.
    Er spürte, wie ihn die Kugeln durchbohrten. Die Wucht der Einschläge warf ihn zu Boden. Krabbelnd suchte er Deckung hinter ein paar verkümmerten Bäumen.
     

     
    Der Vormarsch stockte, während man den Heckenschützen mit einem Granatwerfer auszuschalten versuchte. Guilford stierte auf die Wunden von Tom Compton. In der rechten Schulter des Grenzers klaffte eine v-förmige Wunde und links unter dem Brustkorb gähnte ein Loch.
    In den Wunden war kein blutiges Gewebe zu sehen, sondern etwas viel Feineres und Groteskeres, ein leuchtendes Medium, als sei der Leib des Grenzers inwendig eine erstarrte Flamme.
    Loses Fleisch, dachte Guilford, und sein Geist scheint durch.
    Widerstrebend nahm er sich selbst in Augenschein.
    Es hatte ihn schwer erwischt. Brust und Bauch waren offen, die Kleidung verkohlt. Sein Rumpf glomm wie eine wildgewordene Partylaterne. Eigentlich hätte er tot sein müssen. War es vielleicht auch. Er schien weder Blut noch Eingeweide noch Fleisch zu besitzen, nur dieses heiße, pulsierende Licht.
    Lauter Zahlen, dachte er. Lauter seltsame, unergründliche Zahlen.
    Er blutete nicht, spürte aber sein Herz in der offenen Brust. Es hämmerte wie verrückt. Auch das nur Einbildung? Vielleicht war er zwanzig Jahre lang tot gewesen… oft war ihm das so vorgekommen. Einatmen, ausatmen, Hammer heben, Schraubenschlüssel ziehen; Liebe meiden, Freundschaft meiden, ausharren…
    Ein paar Zoll von seinem Ohr entfernt peitschten Kugeln in den steinigen Boden.
    Du wusstest, der Tag würde kommen. Kein Aufschub mehr.
    »Sie bringen uns um«, murmelte er.
    »Nein«, sagte Tom. »Das glaubt dieser Heckenschütze vielleicht. Du weißt es besser. Die töten uns nicht, Guilford. Die können nur töten, was sterblich ist.« Er zuckte zusammen, als er sich umdrehte. »Die sind dabei, unsere Götter auszubrüten.«
    »Es tut verdammt weh«, sagte Guilford.
    »Du sagst es.«
     

     
    Den ganzen langen Morgen erinnerte er sich zu lebhaft an zu vieles.
    Er rollte über eine Brombeerhecke aus Stacheldraht, verfing sich mit dem Fuß in einem langen Wurzelausläufer, stürzte noch etliche Yards und landete um Armeslänge von seinem Gewehr entfernt. Nacktes Gestein schürfte ihm die Wange auf. Er hatte den Rand der Stadt erreicht.
    Ich war das, dachte er, im Bois Belleau; ja, ich entsinne mich. O Herr Jesus: das Weizenfeld voller Mohnblumen und überall fielen die Männer, die Verwundeten überließ man den Sanis, die noch nicht gefallen waren, Schreie über dem Geschützdonner und bitterer, wallender Rauch… Seht uns an, dachte Guilford. Beinah zweihundert halbmenschliche alte Männer waren hinter ihm, in Staubmänteln aus Wollschlangenhaut und Arbeitsanzügen, mit Schlapphüten statt Helmen und faustgroßen Löchern, wo die Kugeln ihre Leiber durchschlagen hatten. Unsterblich waren sie noch nicht. Der Leib als Gefäß ertrug nur ein gewisses Ausmaß an Schmerz und Wunder. Manche Verletzungen waren tödlich; manche Männer lagen leblos im Steilhang, so tot wie die Männer im Bois Belleau.
    Guilford hatte viel Fleisch verloren und setzte in leichten Sprüngen zwischen den erodierten Mausoleen voran.
    Er hat mich die ganzen Jahre regelrecht zugeritten.
    Doch wir sind ein und derselbe.
    Sind wir nicht.
    Erinnerung dampfte aus der Dämonenstadt.
    Einst waren diese Bauwerke weiß und rein wie Marmor gewesen, angefüllt mit Lebensmitteln und von einer unfreiwillig bösen und ungeheuer kraftvollen Spezies bewohnt, wohlgehegten Instrumenten, um die Archivzeit mit Psileben zu durchsetzen. Hirnlose Baumeister, die wie Insekten lebten. Als ausgewachsene Kreaturen in den Born der Schöpfung geschickt, waren sie ihm als sterbliche Götter entstiegen.
    Das war nur ein Pfad in die Ontosphäre des Archivs. Es gab Tausende solcher Eintrittspunkte. Psileben war ebenso unerbittlich wie erfinderisch.
    Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen und sie haben mir Angst gemacht: Herrgott, wovor hat jemand Angst, der zwischen den Sternen lebt?
    Ich erinnere mich an Caroline, dachte er grimmig. Ich erinnere mich an Lily. Ich erinnere mich an Abby und Nicholas.
    Ich entsinne mich, wie Blut aussieht, das sich mit Regen und Erde vermischt.
    Ich entsinne mich eines blauen Himmels unter einer Sonne, die vor einer Milliarde Jahren erloschen ist.
    Ich entsinne mich zu vieler Himmel.
    Zu vieler Welten.
    Er entsann sich wider Willen der abertausend Byzanzen der greisen
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