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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia
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von ihm aus.
    Vale erklomm einen bewaldeten Hang, seine rosarote Wurmspur auf dem trockenen Erdreich hinterlassend, die Erregung drohte ihn zu verbrennen: Nicht mehr weit, raunte die Gottheit, und als er auf dem Hügelkamm stand, blickte er in das verborgene Tal hinab und sah sie geheimnisvoll glitzern, die Stätte seiner Erlösung, die heilige Stadt, gewaltig und majestätisch und uralt, lange verwaist und zu neuem Leben erwacht, voller gottesfürchtiger Menschen. Unter dem eingestürzten Dom pochte immer noch das Herz der Stadt, der Born der Schöpfung. Sogar aus dieser Entfernung konnte Vale die Stadt riechen, es war ein mineralischer Duft nach Tau und Sonnenlicht auf kaltem Granit, und Vale wollte weinen vor Dankbarkeit, Demut und Begeisterung. Ich bin zu Hause, dachte er, zu Hause nach zu vielen Jahren in zu vielen lichtlosen Slums und düsteren Gassen, endlich zu Hause.
    Voller Freude lief er den bewaldeten Hang hinunter, atemlos aber behände, bis an den Stacheldrahtwall, wo ihn Männer seinesgleichen, Plasma blutende Halbgötter, wortlos empfingen.
    Wortlos, weil Worte überflüssig waren, und weil manche nicht hätten reden können, selbst wenn sie es gewollt hätten, weil nämlich ihre Gesichter aus verfaultem Pappmaschee hätten sein können. Aber sie waren seine Brüder und Vale war überglücklich, sie zu sehen.
    Man gab ihm ein Sturmgewehr und Munition, zeigte ihm, ungeachtet seiner schwärenden Schulter, wie man beides zu tragen hatte und wie man die Waffe lud, entsicherte und damit schoss, und als die Sonne schon tief stand, brachte man ihn zu einer Ruine, die als Schlafsaal diente. Tief in der steinernen Dunkelheit legte Vale sich auf eine dünne Matratze, eingehüllt vom Gestank nach sterbendem Fleisch und Azeton und Ammoniak und dem feinen Aroma der Stadt. Irgendwo tropfte Wasser von Stein auf Stein. Die Musik der Erosion.
    Der Schlaf wollte sich nicht einstellen und als er sich einstellte, träumte Vale. Die Träume waren Alpträume aus Ohnmacht, aus dem Gefühl, im eigenen Körper gefangen zu sein und zu ersticken, elend zu ertrinken in den Sekreten des eigenen Fleisches. In seinen Träumen verzehrte Vale sich nach einem anderen Zuhause, es war nicht die heilige Stadt, sondern ein Zuhause, das ihm vor langer Zeit entglitten war…
    Er wachte auf und bemerkte, dass sein Leib mit feinen, grünen Pusteln bedeckt war. Die Struktur erinnerte an gekörntes Leder.
     

     
    Er verbrachte den Tag auf einem improvisierten Schießplatz, zusammen mit denjenigen unter seinen stummen Gefährten, die noch in der Lage waren, ein Gewehr zu halten und damit umzugehen.
    Die anderen – deren Hände gezackte Scheren waren, deren Leiber von Krämpfen geschüttelt wurden, deren Wirbelsäule gewachsen war und neue Fortsätze trieb –, sie heckten anderes aus.
    Nicht zuletzt durch das beredte Schweigen seiner Gottheit begann Vale das eine oder andere zu verstehen: Diese organischen Veränderungen waren gottgewollt, kamen aber verfrüht, provoziert durch Sabotage in den Gefilden der Götter.
    Die Götter waren mächtig aber nicht allmächtig; wissend aber nicht allwissend.
    Deshalb brauchten sie seine Hilfe.
    Und es war ein Vergnügen zu dienen, auch wenn ein Bruchteil von ihm gegen die Gefangenschaft anschrie, auch wenn er sich von Zeit zu Zeit schmerzlich nach jenem Teil von sich sehnte, der nichts weiter als menschlich war.
     

     
    Niemand redete in der heiligen Stadt, obwohl ein paar Männer noch im Schlaf schrien. Es war, als hätten sie ihre Sprache in den Wäldern hinter den Stacheldrahtwällen gelassen. So viele Männer, so viele Gottheiten, und alle diese Götter waren letztlich ein Gott, wozu musste man sich da unterhalten?
    Doch der Teil von Elias Vale, der sich nach der verlorenen Menschlichkeit sehnte, vermisste auch den Klang der menschlichen Sprache. Das Stottern des Gewehrfeuers und das Klatschen der Schritte verhallten in den steinernen Straßen zu melancholischer Stille, und selbst die lautlose Stimme seiner Gedanken wurde immer leiser und konfuser.
    Als er am nächsten Tag aufwachte, hatte er eine neue Haut, waldgrün und glänzend wie Schellack, nur an den Gelenken trat noch eine blasse, weißliche Flüssigkeit aus.
    Er legte den Rest der stinkenden Kleidung ab. Die heilige Stadt kannte kein Schamgefühl.
     

     
    Auch keinen Hunger.
    Er würde essen müssen, eine Menge zu guter Letzt, um die mageren Zeiten auszugleichen. Aber später erst.
    Trinken musste er allerdings reichlich. Man hatte ein
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