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Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Titel: Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen
Autoren: Taras Prochasko
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regentrüben Fluß. Er lernte, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, mit Tauchsieder und Einmachglas umzugehen, in einer Schüssel Geschirr zu spülen. Er summte Lieder, die sich nach dem Konzert in seinem Kopf festgesetzt hatten. Ihm schmeckten unsere Wurst und unsere Süßigkeiten, unser Bier und unser Sekt. Auf dem Friedhof berührte er Grabsteine aus verschiedenen Jahrzehnten und studierte die Steinmetz-Techniken. Er fragte bei allem nach, was er nicht verstand, und wunderte sich, nachdem er eine Erklärung erhalten hatte, nicht darüber, warum etwas so war, wie es war. Peter lernte die ganze Zeit Ukrainisch und hörte sich alle Geschichten aus unserer Geschichte bis zu Ende an.
    Niemand in unserer Umgebung hätte ihn für einen Ausländer gehalten. Wir mußten uns nie für unser Land schämen. Unser Land und Peter hatten einander, so scheint es, liebgewonnen.
    Ich kann nicht wissen, worüber er nicht gesprochen hat, was er alles in sein Notizbüchlein geschrieben hat, welche Fragmente dieser Reise sich in seiner Prosa wiederfinden. Ich weiß nicht, auf welche Fragen Peter keine Antwort erhielt. Doch eines kann ich mir, nach all dem, was wir zusammen erlebt haben, nicht erklären. Warum hat Peter kurz vor seiner Abreise in einem ukrainischen Souvenirladen eine Matrjoschka gekauft – und warum gab es sie dort überhaupt?
    5
    Wenn ich darüber nachdenke, was ich bin, denke ich unweigerlich an jene, die mich geprägt haben. Ich kann nicht anders, als dabei an meine Kindergärtnerinnen und Lehrer zu denken. Wie auf einem Gruppenbild erscheinen in meiner Vorstellung sofort ein paar Dutzend Gestalten. Denke ich jedoch länger darüber nach, gesellen sich immer mehr Personen zu dieser Gruppe, ihre Zahl erreicht mehrere hundert. Manchmal halten sie wie allegorische Figuren bestimmte Attribute in der Hand, die lakonisch und höchst allgemein das wichtigste Geschenk symbolisieren, das mir von ihnen mitgegeben wurde.
    Wenn sie sich um mich versammeln, richten sie sich in der Regel nach der Chronologie. So ist es wohl richtig, denn über die Bedeutung ihres Einflusses zu debattieren wäre nicht nur nicht angemessen, sondern auch sinnlos, da es sogar mir ungemein schwerfallen würde, ein Prioritätsprinzip aufzustellen (denn ich weiß, daß ein paar minutenkurze Begegnungen mehr zu meiner Erziehung beigetragen haben als manche langjährige Bekanntschaft).
    Der imaginäre Fotograf wäre hell erfreut über die farbenprächtige Komposition aus weisen Alten, schrulligen Omas, ehrenhaften Männern, hübschen Frauen, kleinen Kindern, Verstorbenen und Geistern, Hunden, Katzen, Pferden, Vögeln und Pflanzen, Heiligen und Schurken, Schreckgestalten mit zerkratzten Gesichtern … Auch die Widersprüchlichkeit innerhalb dieser Gesellschaft müßte ihn verwundern. Hier aber hält meine Dankbarkeit alle zusammen, hier können sie sich versöhnen. Was mich betrifft, so möchte ich immer neben Vater sitzen. Allein schon deshalb, weil es mir einfach nicht gelingen will zu begreifen, was ihn in der Schule meines Lebens so wichtig macht.
    Vater hat in Wahrheit nicht sehr viel Zeit mit uns verbracht. Er war überhaupt sehr selten zu Hause, er fehlte uns ständig. Aber es gelang ihm, während kurzer Episoden entscheidende Dinge zu vermitteln. Mit wenigen Sätzen, seiner Art sich zu bewegen, sich mit den verschiedensten Leuten zu unterhalten, vertrackte Probleme spontan zu lösen, mit seinem Lächeln, seiner Bereitschaft zu helfen und der Fähigkeit nein zu sagen, mit dem besonderen Gewicht seiner Worte. Geht es um konkrete Fertigkeiten, so war er es, der mir beibrachte, wie man Sauerkraut macht und die Erde umgräbt, wie man Apfelbäume und Rosen pflegt, Suppe kocht und Zwiebelsalat macht, wie man einen Schlagring trägt und überflüssige Notizbücher beseitigt, sich Adressen und Namen einprägt, in die Berge geht, angelt,Kutja 20 macht, den Boden wachst, wie man schwimmt und die Strömung spürt, Drachen steigen läßt und die Schokolade gerecht aufteilt, wie man Apfelsaft macht und Tomaten einlegt (seltsam, aber dies sind die Dinge, die ich heute am besten kann …).
    Sogar Vaters Geschenke hatten in erster Linie bestimmte Erfahrungen zum Ziel: eine Uhr, ein Taschenmesser mit vielen Klingen, ein Elektrobaukasten, Schlittschuhe, Skier, eine Luftdruckpistole, ein Fotoapparat, eine Drehbank, eine Axt, ein Mini-Billard-Set, Stelzen, ein Bogen, eine Reckstange, Tennisschläger, ein Gerät für Brandmalerei, ein kleines Chemielabor, ein
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