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Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Titel: Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen
Autoren: Taras Prochasko
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gehen, beobachten und lauschen. Und das wichtigste: Ähnlichkeiten, die den Kern der Andersartigkeit deutlich machen, finden und mir einprägen, ebenso Unterschiede, die zeigen, daß doch alles gleich ist. Im städtischen Park leben viele Eulen. Beim Pferdestall. Ein Stück weiter eine geschnitzte Laube, jenen in Worochta und Tatariw ähnlich, und ein ehemaliger Schießstand des Schützenvereins. Ein Nachtklub im ersten Stock eines Hochhauses (tagsüber sind die eisernen Rolläden geschlossen, wodurch der Blick auf eine aufgeklebte türkische Schönheit freigegeben wird). Näher am Zentrum ist eine riesige Wiesenfläche, ganz ohne Bäume. Dieser Bezirk ist so schön, daß in Lemberg oder Iwano-Frankiwsk auf dem Gelände bereits ein Ghetto mit besseren Häusern entstanden wäre. Hier aber bleibt die Fläche frei, weil das Staatsoberhaupt aus Anlaß der 250-Jahr-Feier der Schlacht um Wien an dieser Stelle eine Parade von gleichzeitig zwölf Kavallerieregimentern abnahm. Jetzt werden hier Hunde spazierengeführt, und Jungen flitzen mit ihren Fahrrädern herum. Hübsche Mädchen, solche, die es in unseren Landen nie wagen würden, in ihren eleganten Mäntelchen ein Fahrrad zu besteigen, fahren auf dem Weg die Wiese entlang.
    Auf einer Bank vor der Universität sitzen jeden Morgen dieselben beiden Säufer. Jeden Morgen reden sie über Philosophie und Metaphysik. Sie sinnieren darüber, ob Gott sich betrinken könnte, wenn er es wollte.
    Weiter – der Marktplatz, all die Kirchen und Häuser, und das schlimmste: Scharen deutscher Touristen, die sich endlos vor Dingen fotografieren, die sie überhaupt nicht verstehen. Die jüngeren Deutschen betrinken sich einfach. Dazu genügen ihnen zwei bis drei starke Bier (bevorzugt Tatra, der Slogan »Das beste Bier aus unseren goralischen Bergen« ist in einem derart fehlerhaften Polnisch geschrieben, daß man etwas Vergleichbares auf Huzulisch in Kiew für Serbisch oder Mazedonisch halten würde).
    Am Palmsonntag sieht es hier aus wie in Jerusalem. Keine Palmkätzchen. Nur Palmen. So nennt man die Stecken, die auf außergewöhnliche Weise mit Ähren und getrockneten Pflanzen geschmückt sind, so daß sie tatsächlich an kleine, abgeschnittene Palmen erinnern.
    In der Buchhandlung habe ich mich (weil keiner meiner Bekannten da war) endlich getraut, auf dem Sofa sitzend und Kaffee trinkend, in einer mit Fotos illustrierten Ausgabe des Kamasutra zu blättern. Ebensosehr freut es mich, ein paar ukrainische Romane in den Regalen zu sehen.
    Außerdem ist da die Kneipe »vis-à-vis«. Früher war sie als Treffpunkt der Opposition bekannt, noch in den Achtzigern, zu Zeiten des Kriegszustandes, von dem sich die Polen so erfolgreich befreien konnten, trotz der Internierungslager, trotz der ErmordungPopiełuszkos 28 , trotz der polnischen (!!!) Panzer auf den Straßen polnischer Städte, trotz der offiziellen Fernsehnachrichten (sie wurden von Sprechern in Militäruniform verlesen, der Großteil des Fernsehpublikums ging in dieser halben Stunde demonstrativ mit der ganzen Familie spazieren). In dieser Bar tranken auch Offiziere des damaligen Staatssicherheitsdienstes (aus irgendeinem Grund tranken sie nie mehr als fünfzig Gramm, dafür aber sieben bis acht Mal täglich). Jetzt schenkt dort ein Mann aus, der im Fernstudium Ukrainistik belegt hat. Er übersetzt aus dem Ukrainischen und erkennt an seinem Arbeitsplatz treffsicher, welcher seiner Gäste ukrainischer Dichter, Prosaschriftsteller oder Essayist ist.
    Ich muß noch Zeit finden, in einen echten polnischen Laden zu gehen, um einen Liter starken Kirschwein zu kaufen, denn bald wird Europa ihn verbieten.
    Ich kehre in die Renaissancevilla zurück. Ringsum nur Eulen und Pferde. Aus irgendeinem Grund empfinde ich keine Freude nach all den Stadterlebnissen. Allenfalls die Müdigkeit des jungen Bonaparte, der – ich weiß es noch aus der Schule – eine Schwäche dafür hatte, sämtliche Winkel der Städte zu erkunden, in die es ihn verschlug, denn vielleicht würde er sie noch stürmen müssen.
    Und wieder zeigt sich, daß die Schwierigkeiten ausschließlich im Detail liegen. Die wichtigsten Dinge sind sehr einfach. Wenn ich die komplizierten Details sehe, die Vergnügen bereiten könnten, fehlt nur eines: das Wichtigste. All das muß ich unbedingt jemandem erzählen, wenn ich es schon mit niemandem gemeinsam erleben kann.
    Die erste Motivation zu schreiben entsteht.

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