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Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Titel: Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen
Autoren: Taras Prochasko
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Küche vielen Gästen Platz: wenn getrunken, Musik gehört wird, wenn gebackene Kartoffeln mit Sauerkraut gegessen werden. Die Küche dient als Wohnzimmer, Eßzimmer und Arbeitszimmer, in allen anderen Zimmern wird höchstens geschlafen.
    Seit kurzem gibt es in der Küche Dinge, die es hier noch nie gegeben hat. Sie verleihen dem Raum einen gewissen Eklektizismus. Zwei Stühle aus dem Berliner Reichstag und eine verwelkte Gladiole. Diese Dinge sind Andenken an den letzten Monat, in dem uns zwei Nachbarn verließen, Andenken an zwei Nachbarn, die uns letzten Monat verlassen haben.
    Die Stühle hat uns eine Frau geschenkt, die man trotz ihres Alters nicht als alte Oma bezeichnen kann. Sie ist Griechin, Anfang des letzten Jahrhunderts in New York geboren. Irgendwelche sonderbaren Umstände hatten sie nach Sowjetrußland verschlagen, sie sollte erschossen werden, der Tschekist aber, der die Erschießung vornehmen sollte, bot ihr – verzaubert von ihrer Schönheit – dem mittelalterlichen Gesetz entsprechend im Tausch gegen den Tod die Ehe an. Dann lebten sie in Soldatenstädtchen, dann nahm er die Stühle aus dem Reichstag mit, dann war er Kommandant eines besetzten Städtchens in Deutschland. Und erst dann wurde er in unsere Stadt versetzt, wo er gegen die ukrainisch-deutschen bourgeoisen Nationalisten kämpfen sollte. Wenige Jahrzehnte später wurde die Griechin Witwe und war wieder frei. An den meisten Tagen im Jahr arbeitete sie im Garten, der gleichzeitig Obst- und Gemüsegarten war. An den anderen Tagen brachte sie Geschenke in Form von verarbeitetem Obst und Gemüse aus dem Garten in diese Küche. Denn das verstand sie unter Nachbarschaft. Ich kann mir nur schwer vorstellen, was sie gemacht hätte, wäre unser Küchenfenster nicht auf ihre Fenster hinausgegangen. Und trotzdem ist das, was man sieht, zu wenig, um das fremde Leben auch nur ansatzweise verstehen zu können, es fehlen zumindest die Geräusche dazu. Zu viele Bedeutungen und Definitionen hört man nur fragmentarisch.
    Vor kurzem ist sie in den Süden gezogen, irgendwohin ans Meer. Wer hätte das gedacht … Und vor der Abreise brachte sie die Stühle aus dem Reichstag in unsere Küche. Das hätte niemand gedacht.
    Die verwelkte Gladiole war die fünfte im Strauß gewesen. Es heißt, daß man Verstorbenen keine ungerade Anzahl an Blumen bringen darf. Über diesen Nachbarn könnte man viel Positives erzählen, wäre sein Hauptgesprächsthema nicht so wichtig gewesen. Unser Nachbar war Mediziner, viele Jahre beschäftigte er sich mit der Krankheit Iwan Frankos (es gibt eine beinahe detektivische Methode, die dies trotz der zeitlichen Distanz erlaubt). Sein größtes Anliegen war, allen zu erzählen, daß Franko an Arthritis litt und an Arthritis starb. Wie sich herausstellte, erklärt dies vieles.
    Der Hausherr sitzt in der Küche. Er spürt die Leere hinter den Fenstern vor seinem Fenster. Bald wird er die Stühle aus dem Reichstag an jemanden weitergeben und die Gladiole wegwerfen. Sie geben seiner Küche etwas Eklektisches.
    Er versteht, daß manche Gegenstände eine Geschichte haben, die ein fast für sich selbst sprechendes Gleichnis ist. Man muß nur den letzten Satz zu Ende bringen.
    14
    Ich habe mich immer für einen Menschen gehalten, der keine echte Notwendigkeit verspürt zu schreiben. Was ich schrieb, schrieb ich nicht, weil ich es schreiben mußte, sondern – warum nicht? Wenn ich schrieb, hatte ich immer das Gefühl, das Geschriebene sei unzureichend. Ich habe immer lieber erzählt, denn ich wußte, daß die mündliche Erzählung meinem Verständnis von vollkommener Literatur bedeutend näher kommt als das Geschriebene. Jedenfalls habe ich mich nie als echter Schriftsteller gefühlt und mich nie als Schriftsteller bezeichnet. Vielleicht deshalb, weil die Menschen, mit denen ich die meiste Zeit verbringe und die ich am meisten liebe, diese Besonderheit an mir nicht brauchen.
    Deshalb ist die Situation, in der ich mich jetzt befinde, äußerst seltsam. Ich soll ein paar Monate in einer Krakauer Villa wohnen und mich nur dem Schreiben widmen. Derart ideale Bedingungen zum Schreiben hatte ich noch nie, genauso wie ich (mit Ausnahme des Wehrdienstes) noch nie so lange von zu Hause fort war.
    In der ersten Woche konnte natürlich von Schreiben keine Rede sein. Schließlich bin ich zum ersten Mal länger als zwei Tage in Krakau. Endlich konnte und mußte ich die Stadt genießen, ihr Leben erleben, das eigene Erleben in ihr durchleben. Schauen,
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