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Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Titel: Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen
Autoren: Taras Prochasko
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nachzudenken. (»A Soldier’s Things« ist einer der besten Songs von Tom Waits.)
    Damals durfte ein Soldat nur Kleidung besitzen (auch Stiefel und Gürtel kann man als Kleidung bezeichnen, trotz ihrer Polyfunktionalität), das meiste davon wurde wöchentlich ausgewechselt, außerdem zwei Nadeln mit verschiedenen Fäden, einen Truppenausweis sowie Block und Stift (was von einer gewissen Intelligenz des Militärs zeugt, denn zu keiner anderen Zeit meines Lebens hatte ich ständig Block und Stift bei mir). Im Nachtkästchen konnten und mußten Zahnbürste und Zahnpasta, Seife und Rasierer sein. In einem Spind mit Gittertür befanden sich die Insignien deines Soldatenschicksals: ein Maschinengewehr, ein Täschchen mit Patronen, eine Gasmaske, ein Bajonett und ein Sack für das Ganze. Die Insignien deines Schicksals gehörten dir nicht, aber du gehörtest ihnen, die ganze Zeit über.
    Mir gefiel dieser Minimalismus. Noch mehr gefiel es mir, ihn mit einem Minimalismus anderer, privater Natur anzureichern: kleine Messer, zwischen der metallenen Feldflasche mit Trinkbarem und ihrem Filzfutteral versteckt, das Fragment einer Zeichnung des Bruders, unter den Schutzumschlag des Truppenausweises geschoben, ein paar Worte auf den letzten Seiten des Notizbüchleins, die die Eindrücke ganzer Monate oder einzelner Stunden wiedergaben …
    Doch nicht nur die zyklische Kulturgeschichte zeugt davon, daß auf die Reinheit eines Stils der Eklektizismus folgt, auf die Moderne die Postmoderne, auf die Renaissance der Manierismus und auf Barock Rokoko. Die Evolution jeder persönlichen Existenz spiegelt mehr oder weniger gelungen den Kampf des Individuellen dagegen, daß das Individuum einer begrenzten Anzahl möglicher Daseinsstile ausgeliefert ist.
    Darum verwundert es nicht, daß es ein paar Jahre nach meinem Militärdienst bereits sehr viel von diesem Mitgeschleppten gab. Meine Taschen, Rucksäcke, ja sogar mein Körper waren mit diversem brauchbarem und unbrauchbarem Kleinkram vollgestopft. An jedem Ort der Erde konnte ich innerhalb weniger Minuten meine persönliche Welt der Dinge ausbreiten, in ihrer Reichhaltigkeit unterschied sie sich nur wenig von jener des Hauses, in dem ich geboren wurde und den Großteil meiner bewußt erlebten Jahre verbracht habe.
    Möglicherweise wäre es bis heute so, hätte es nicht einen glücklichen Zufall gegeben. Einmal wurde ich von gewissenhaften Polizisten festgenommen, die eine Liste der für die Dauer des Gewahrsams abgenommenen Dinge zusammenstellten. Damals begriff ich, wie ich Kriminalisten, Autoren und Leser von Verbrechenschroniken, die eigene Familie (falls sie den ganzen Ramsch laut Liste abholen müßte) und mich selbst hätte zum Wahnsinn treiben können. Über diese Dinge oberflächlich nachzudenken war unmöglich.
    Seit vielen Jahren, in welchem Augenblick man die Zeit auch anhält, wird man in meinen Taschen keinen Gegenstand finden, der unmittelbar auf eine Gewohnheit hindeuten würde. Da sind nur Zigaretten, die ein beträchtlicher Teil der Ukrainer raucht, ein paar Geldscheine und Münzen, die auf dem gesamten Gebiet der Ukraine in Umlauf sind, ein Klappmesser, mit dem man fast alles machen kann, ohne dabei irgendwelche Gesetze zu verletzen, und Wohnungsschlüssel ohne Adreßschildchen. Keine Fotos, Kreditkarten, Notizen und Notizbüchlein, Bleistifte, Mundstücke, Uhren mit Widmung oder Ringe mit Namen und Datum, Medaillons mit Portrait, Kalender mit markierten Tagen, Zigarettenetuis, keine Schlagringe, Gifte, Schmerzmittel und Visitenkarten, keine Ausweise … Sogar den Paß dabeizuhaben erscheint mir als erniedrigender Komfort, komfortable Erniedrigung.
    Ganz anders ist es mit einem Feuerzeug.
    Das billigste Einwegfeuerzeug ist vor allem eine ebenso perfekte Feuerquelle wie das wertvollste Feuerzeug – das Werk eines bedeutenden Künstlers (mit einem Feuerzeug lassen sich übrigens viele Situationen im Leben zum Besseren wenden, nicht schlechter, als es den Spezialeinsatzkräften mit Kondomen gelingt).
    Das Einwegfeuerzeug in der Farbe, die man dir ausgesucht hat, ist der Passierschein in eine andere Welt. Eine Welt, in der alles von deiner Wahl abhängt. Eine Welt ohne Wahlmöglichkeit in dem Sinn, daß man keine Wahl hat, weil es nichts gibt, woraus man auswählen könnte, weil es nichts auszuwählen gibt, weil alles schon ausgewählt wurde. Denn es gibt nichts, was man ausschlagen könnte.
    Das Einwegfeuerzeug dient, wenn man ihm Beachtung schenkt, als täglicher
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