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Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Titel: Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen
Autoren: Taras Prochasko
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Passierschein in die literarische Praxis. Indem man lernt zu beschreiben, wie das eigene Feuerzeug aussehen könnte, erhält man alle möglichen Feuerzeuge der Welt.
    Die Notwendigkeit, sich an bestimmte Dinge zu klammern, verschwindet erst dann, wenn du dir vorstellen kannst, wie sich Dinge anfühlen, die du nie wirst berühren können. Und du begreifst, daß nur, was in deiner Vorstellung existiert, das vollständigste, verläßlichste Eigentum ist.
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    In den letzten Julitagen hatten wir einen angenehmen und willkommenen Gast. Wir lernten Peter auf neutralem Boden kennen, in Krakau. Für das Kennenlernen ist das gleichzeitig gut und schlecht. Des heimatlichen Rückhalts beraubt, steht der Mensch für sich selbst, etwas an ihm fehlt jedoch. Auf jeden Fall haben wir uns gefunden, wir waren uns sympathisch und schlossen Freundschaft.
    Peter lebt in Berlin. Er ist ein echter Schriftsteller. Das heißt, er erfüllt eine einzige gesellschaftliche Funktion. Er erdenkt, schreibt und publiziert Romane. Im Unterschied zu den meisten Schriftstellern bei uns hat er an einem Literaturinstitut studiert. Er ist talentiert und intelligent genug, daß sein Schreiben von der Fachausbildung keinen Schaden nahm, im Gegenteil, es hat davon profitiert. Ein weiterer unbestreitbarer Vorzug besteht darin, daß er Steinmetz war, bevor er Schriftsteller wurde. Ebenfalls mit abgeschlossener Ausbildung. Und daß er genauso gern mit Stein gearbeitet hat wie jetzt mit Sätzen (manche seiner Sätze sind so schön, daß es ihm gelegentlich leid tue, sie nicht materialisieren zu können, zumindest für eine einzige gemeinsame Nacht, wie sich ein bekannter Kritiker ausdrückte). Peter beherrscht es, Details zu sehen, sie mit der Geschichte anderer Details zu umspinnen und so ein buntes Geflecht erfundener Literatur über nicht erfundenes Leben zu schaffen. Es ist bezeichnend, daß wir nie über Literatur sprachen, es gab genug andere gemeinsame Interessen.
    Es war sehr einfach und erfreulich, mit Peter zu kommunizieren. Seine Toleranz in sprachlichen Dingen ist untypisch für Deutsche. Mit ihm kann man sich in Infinitivsätzen unterhalten, fehlerhaft, mehr schlecht als recht, mit einzelnen Wörtern, mit Gesten, Mimik und Hilfslauten, indem man auf Gegenstände zeigt. Er verstand alles und machte sich ebenfalls verständlich, indem er vereinfachte, erklärte, verkürzte, wiederholte, langsamer sprach, etwas mit den Händen zeigte und lachte. Jedenfalls unterschieden auch meine Kinder ihn, als sie nach Krakau kamen, sofort von den anderen Ausländern, empfanden keine Fremdheit. Von allen Deutschen und Polen hörte nur Peter sich in unsere Sprache ein, merkte sich Wörter und interessierte sich für ihren Gebrauch. Und nur bei ihm war klar, daß die Ukraine ihn nicht unberührt lassen würde.
    Später besuchten wir ihn in Berlin. Er wußte, was er in dieser Megapolis gerade mir zeigen mußte, damit ich die Stadt liebgewinnen konnte.
    Sein Besuch bei uns begann schon vor seiner Ankunft, aus irgendeinem Grund fuhr der Bus nicht, für den Peter ein Ticket gekauft hatte, und wir mußten bis zum nächsten Tag warten. Danach blieben wir kurz in unserer Stadt, danach fuhren wir in die Berge, danach waren wir in einem Bergdorf und danach noch zwei Tage in der Stadt. Peter lebte einfach mit uns, lebte wie wir. Das freute uns am meisten. Er machte überhaupt nicht den Eindruck, als sei er ein Gast in unserem unbekannten, wunderschönen und seltsamen Land.
    Er fühlte sich wohl in unserem alten Häuschen mit den zahlreichen Widrigkeiten des Alltags. Gemeinsam wurden wir von schrecklichen Regengüssen durchnäßt und von dem reißenden Strom, in den sich der Weg verwandelt hatte. Beim Stadtfest in Jeremtscha tanzte er auf dem Hauptplatz zu ukrainischem Rock. Die dichtgedrängte Menge von Alten, Jungen, Kindern, Polizisten, betrunkenen, ausgelassenen und ungestümen Bergbewohnern machte ihm überhaupt keine Angst. Peter aß sorglos halbrohen Schaschlik und trank das saure Bier der örtlichen Brauerei in einem überfüllten, verrauchten und verdreckten Loch, wo die Versammlung der Visagen filmreif war. Wir fuhren mit desolaten Regionalzügen, in denen die Fenster verschlossen und die Toiletten kiloweise mit Chlorkalk vollgeschüttet waren. Wir aßen zum Frühstück Quark, zu Mittag Mamaliga mit Schafskäse und am Abend gebackene Kartoffeln mit Pilzen, wie jeden Tag. Peter trank unabgekochtes Brunnenwasser, aß ungewaschene Waldbeeren und Tomaten, badete im
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