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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters
Autoren: Henning Mankell
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Elna ging in die letzte Volksschulklasse, als die Lehrerin eines Tages mit einem grauen Briefumschlag die Klasse betrat und fragte, ob jemand eine Brieffreundin haben wollte. Elna meldete sich, ohne zu wissen, warum. Sie hatte ja in ihrem Leben kaum je einen Brief geschrieben. Und beinahe wäre auch diesmal nichts daraus geworden, denn als sie zum Pult ging und knicksend den Brief entgegennahm, ergriff die Lehrerin gleich die Gelegenheit, Elnas Handschrift zu tadeln. Krähenfüße nannte sie ihre Buchstaben, und Elna konnte sich nur mühsam beherrschen.
    Zu Hause in der Küche, wo die Fabrik vor dem Fenster aufragt, liest sie den Brief. Mutter Dagmar wirtschaftet mit dem Abendessen herum und will wissen, was sie da hat. Aber Elna kann jetzt nicht antworten, sie muss fertig sein, bevor der Vater und die beiden älteren Brüder aus dem Werk kommen. Denn wenn der Brief dann noch daläge, würde es ein unablässiges Fragen geben.
    »Hast du etwa einen Brief bekommen?«, fragt die Mutter.
    Elna antwortet nicht auf so eine törichte Frage. Sie liest. Wieder und wieder liest sie diesen verblüffenden Brief.
    »Ich heiße Vivi Karlsson. Ich habe eine Nadel auf die Landkarte von Schweden fallen lassen, erst ist die Spitze draußen im Meer gelandet, irgendwo bei Kvarken, aber wer soll da schon wohnen. Beim nächsten Mal zeigte sie auf Skillingaryd, aber das klang so langweilig. Schließlich fiel sie auf Sandviken, und davon weiß ich jedenfalls, dass sie eine Fußballmannschaft haben. Die hat hier gegen BOIS gespielt,und das ging leider nicht so gut aus. Mein Papa arbeitet auf der Werft, er ist groß und war Ringer, bevor er Probleme mit dem Bauch bekam, Hämorrhoiden heißt das. Mutter ist zu Hause. Wir wohnen in einem Zimmer mit Küche, ich habe zwei Brüder, Per-Erik und Martin. Martin ist als Schiffsjunge zur See gegangen, und Per-Erik will Maurer werden. Wir sind Kommunisten, oder zumindest Papa. Falls du, die ich nicht kenne, Lust hast, mir zu schreiben, so ist meine Adresse …«
    Wieder und wieder liest Elna den Brief, stellt sich Vivi Karlsson vor. Aber Mutter beginnt, mit Tellern und Schüsseln zu klappern. Man lässt sie nicht in Ruhe!
    Die Kartoffeln sind erst zur Hälfte geschält, als Mutter bereits petzt. »Elna ist heute mit einem Brief von der Schule nach Hause gekommen.«
    Vater Rune sticht mit der Gabel in die Luft. »Was zum Teufel hast du wieder angestellt?«, knurrt er.
    Elna antwortet aber nicht.
    Bruder Nils ist gerade sechzehn Jahre alt und picklig und fast immer gelb unter der Nase. Er streitet oft mit ihr, aber trotzdem mag sie ihn, vielleicht gerade weil er sich einmischt, sich kümmert, auch wenn es meist so ausgeht, dass er sie ärgert.
    »Sie hat natürlich einen Schatz«, sagt er und schaufelt errötend das Essen in sich hinein.
    Und so geht es weiter. Ein Brief, den keiner gesehen hat, wird zum einzigen Gesprächsthema, während Hering und Kartoffeln von den Tellern verschwinden.
    Aber Elna bleibt stur, es ist ihr Brief. Sie sagt nichts.
    Nach dem Essen verschwindet der ältere Bruder Arne im Keller, um sich zu waschen. Es ist Mittwoch, und er will mit dem Zug nach Gävle zum Tanz. Er ist zwanzig Jahre alt und hat nach der schweren Arbeit noch Kraft für zehn.
    Nils rülpst, legt sich aufs Küchensofa und weigert sich,einen Finger krumm zu machen, Vater legt sich drinnen im Zimmer aufs Bett und schläft sofort ein. Elna und die Mutter waschen ab, dann gibt es Kaffee.
    Da niemand den Brief erwähnt, als sie am Küchentisch beim Kaffee sitzen, ergreift Elna die Gelegenheit, noch etwas zu fragen, was sie nicht versteht. Sie lässt die Frage so einfließen, als hätte sie mit der Schule zu tun. »Vater«, sagt sie, »was sind eigentlich Hämorrhoiden?«
    Er starrt sie entgeistert an. Aber im Gegensatz zu den meisten Erwachsenen, die sie kennt, ist er ganz bei der Sache. »Die sitzen im Arsch«, erklärt er sachlich. »Scheißt man ein paar Jahre Steine, dann bekommt man sie.«
    »Nicht, wenn wir Kaffee trinken«, sagt Mutter. Nisse grinst bloß, er ist wild auf alles, was mit den Geheimnissen des Körpers zu tun hat.
    »Was heißt sitzen?«, fragt Elna.
    Vater reibt sich die Nase. »Du weißt, wer Einar ist? Der, der über der Bäckerei wohnt, mit dem ich zusammen arbeite? Er hat welche. Er sagt, es sieht aus, als ob Weintrauben im Arsch wachsen, und er würde gerne aufhören zu essen, damit er aufhören könnte zu scheißen, weil es so weh tut.«
    »Müsst ihr mit diesem Schweinkram
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