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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters
Autoren: Henning Mankell
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Prolog
    H ier ist sie: E ivor Maria Skoglund, 38 Jahre alt, Kranführerin seit drei Jahren, genauer gesagt seit Oktober 1977.
    Sie hat gerade ihre Schicht beendet und steht vor dem Eingang von Domnarvets Västra in Borlänge, fröstelnd in der Novemberdämmerung. Beinahe widerwillig bückt sie sich und beginnt, die Kette vom Vorderrad ihres wackligen Fahrrads zu lösen. Es ist, als spiegelte der Herbsthimmel ihre stumme Verbitterung darüber, dass sie ihre verdammte Menstruation heute Nachmittag bekommen hat, dass sie wieder nicht schwanger ist. Trotz Temperaturmessens, um den Eisprung zu kontrollieren, trotz Kissen unterm Hintern und eines sturen, hartnäckigen Sexuallebens.
    Hier ist sie, Eivor Maria Skoglund, in der Mitte des Lebens, das sie wie eine einzige Plage empfindet.
    Natürlich gibt es auch einen Mann im Hintergrund, ihren dritten genau genommen, den Nachtwächter Peo, der in diesem Augenblick wie ein ausgezählter Boxer auf dem dunkelroten Kunstledersofa in der gemeinsamen Wohnung liegt und zu schlafen versucht. Er braucht seinen Schlaf und seine Träume, wenn er die endlosen Nächte in verlassenen Kaufhäusern und Gemeindebüros aushalten will.
    Er liegt zusammengekauert, die verschwitzten Hände im Schritt, und versucht, an nichts zu denken. Aber er bleibt wach, Stunde um Stunde, bis Eivor nach Hause kommt.
    Im Hintergrund gibt es auch noch das Resultat einer früherenEhe. Eivors halbwüchsige Kinder, glücklich, betrogen, bitter, ziellos. Aber bis auf Weiteres kommen sie erst an zweiter Stelle, so muss es sein, wenn die Geschichte Fahrt aufnehmen soll.
    Viele denkbare Ausgangspunkte also für diese Geschichte über Eivor.
    Der wichtigste ist ihre Mutter Elna. Elna, die Dunkelhaarige. Ohne Vorwarnung konnte sie beim Abendessen in dem tristen, hellhörigen Mietshaus in Hallsberg ausrufen: »Wäre ich nicht so verdammt dumm gewesen und zur norwegischen Grenze in Dalarna geradelt, so wäre ich deinem Papa nicht in die Hände gefallen, und du wärst nicht entstanden, mein kleines Mädchen. Vergiss das nicht! Niemals! «
    Das hatte sie 1952 oder 1953 gesagt, Eivor erinnert sich nicht genau. Aber ist Mutter ein schlechter Mensch? Gefühllos, gar einfältig? O nein, im Gegenteil! Eivors Mutter Elna hat einen klaren Verstand, ein offenes Herz, und sie hält es mit einer seltenen Religion: Ehrlichkeit! Die Tochter gleicht ihr, nicht nur im Aussehen, das sagen alle. Aber sie flucht nicht so viel und so grob wie ihre Mutter, auch wenn sie es manchmal gern täte.
    Aber Hallsberg?
    Ja, ich weiß, das ist zu früh. Ich muss meine Fantasie zügeln.
    Gehen wir also durch die Flusstäler zum norwegischen Fjäll hinauf, zurück in die Vergangenheit.
    Bis ins Jahr 1941.

 
1941

 
     
     
     
     
     
    D as dritte Kriegs jahr, dem Höllenwinter eifert im ganzen Land ein Sommer nach, endlos, trocken und heiß.
    Und da kommen sie auf ihren Rädern: Vivi und Elna. Daisy Sisters nennen sie sich nach amerikanischem Vorbild. Zwei Mädchen, die gerne singen, müssen so einen Namen haben, auch wenn ihr Repertoire aus schwedischen Volksschulliedern oder albernen Schlagern besteht. Nach Lulu dachten sie zunächst daran, sich Ziegler Sisters zu nennen, und als Rosita ins Gespräch kam, überlegten sie, ob Serrano Sisters nicht besser klänge. Elna war dafür, aber sie waren kaum aus Älvdalen herausgeradelt, wo sie den Zug verlassen hatten, als sie schon klein beigab. Vivi war ein eigensinniger Mensch.
    Es ist Sommer, das steht fest, und Elna wird vergewaltigt werden, oder so gut wie.
    So gut wie , das sind ihre Worte. Denn selbst in ihrer tiefen Erniedrigung zwingt sie sich zur Ehrlichkeit, wie sehr es auch schmerzt. Hat sie um sich getreten, gebissen, gekratzt? Lag da wirklich keine Waffe, kein Stein, mit dem sie den Mann hätte schlagen können? Außerdem hat sie ja eigentlich zu keiner Zeit Angst, als sie unter ihm liegt. Wie sollte sie auch? Er ist ja nur ein blasser, pickliger Soldat, der selbst Angst hat!
    Zwei graue Damenräder, Marke Monarch, und die Welt will erobert werden. Auf den Gepäckträgern haben sie ihr Gepäck: eine kleine Reisetasche, den Schlafsack und obendrauf den Regenmantel, alles säuberlich festgezurrt. AnVivis Gepäckträger baumelt noch zusätzlich eine graue Seitentasche.
    Sie sind gleich alt, Wasserfrauen alle beide. 1924, am 22. Januar und am 2. Februar, sind sie geboren, jede an ihrem Ort. Denn Schwestern sind sie nur dem Namen Daisy Sisters nach. Vivi kommt aus Landskrona, Elna aus Sandviken.
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