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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters
Autoren: Henning Mankell
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Landschaft, aber was sonst? Elna starrt auf die Karte und versucht, etwas anderes zu sehen, Menschen, die sich bewegen zwischen den kaum lesbaren Ortsnamen, Kilometerangaben, Schlössern.
    Nils Holgersson ritt auf einer Gans,
    die den Schnabel aufriss
    und schrie
    und auf eine Möwe schiss
    murmelt sie für sich. Da unten wohnt also Vivi.
    Elna und Nisse schlafen in der Küche. Arne eigentlich auch, aber er ist selten zu Hause. Er möchte gern glauben machen, dass verliebte Frauenzimmer ihn in ihre Betten einladen, aber Elna weiß, dass er sich meistens auf dem kalten Boden bei irgendeinem Kameraden zusammenrollt, der in einer der Junggesellenwohnungen der Fabrik wohnt. Und hätte er all die Frauenzimmer, von denen er erzählt, warum sollte er dann weiter unter der Bettdecke fummeln, wenn er mal in der Küche schläft und glaubt, er sei als Einziger noch wach? Elna hat es gehört und versucht, nicht auf das Keuchen zu achten.
    Als Nisse tief und regelmäßig atmet, klettert Elna leise vom Küchensofa, zündet eine Kerze an und setzt sich an den Klapptisch, um Vivi eine Antwort zu schreiben. Die Flamme der Kerze flackert in der zugigen Küche. Es ist, als wollte das Licht aus der Küche fliehen. Sie zieht die Füße unter sich auf den Stuhl, die Bodenbretter sind kalt. Dann reißt sie ein Blatt aus dem Schreibblock und spitzt ihren Bleistift mit dem Daumennagel an.
    Aber was soll sie schreiben?
    Sie holt den Brief hervor und liest ihn ein weiteres Mal. Die Buchstaben sind gespreizt und ungeduldig, nichts erinnert an die runden und fließenden Schriftzeichen, mit denen Elna sich ständig abmüht. Aber die Tatsache, dass die Buchstaben ihr eigenes aufrührerisches Leben führen, erzählt etwas über die unbekannte Vivi.
    Schließlich ahmt Elna Vivis Brief nach, erzählt von sich, nur dass ihre Buchstaben gegen ihren Willen rund werden wie wohlgenährte Ferkel.
    Von diesem Tag an tauschen sie Briefe aus, vertrauen einander die geheimsten Gedanken an, fügen Lesezeichen, gepresste Blumen, Ansichtskarten, Zeitungsausschnitte hinzu. Aber die Jahre vergehen, ohne dass sie sich je fotografieren lassen und einander Bilder schicken. Warum? Das fragen sich beide.
    Kurz nachdem sie ihren Briefwechsel begonnen haben, beenden sie die Schule. Vivi schreibt, dass sie gleich am letzten Schultag als Zimmermädchen im Stadthotel Landskrona angefangen hat. Sie muss von der Kirche aus loslaufen, um nicht zu spät zu kommen. Genau zehn Minuten dauert ihr Übergang von der Schulzeit zum Berufsleben. Elna hat es besser. Erst zwei Tage nach dem Schulabschluss steht sie an der Küchentür der Villa von Ingenieur Ask aus der Fabrik. Sie knickst und beginnt ihren Dienst als Hausgehilfin. Nach wenigen Wochen haben sich die Briefe der Mädchen verändert. Die gepressten Blumen weichen einem Austausch von Zukunftsträumen, und ernsthaft versuchen sie nun, ein Treffen zu planen.
    Aber 1939 beginnt der Krieg. Hitler, dieser Teufel, den man schon vor fünf Jahren hätte erschießen sollen, schreit im Radio, sodass Elna sich fast fürchtet im Dunkeln. In solchen Unruhezeiten wagt man nicht, eine Arbeit aufzugeben,ebenso wenig, eine Reise zu einer Brieffreundin anzutreten. Außerdem hat sie es ganz gut bei Ingenieur Ask, obwohl der Lohn miserabel ist und sie fast nie freihat.
    Wir müssen warten , schreiben sie einander. Der Krieg kann ja nicht ewig dauern, genauso wenig, wie man sein ganzes Leben lang Zimmermädchen in einem Hotel oder Hausgehilfin bei einem Ingenieur sein kann.
    Wir sehen uns bald , schreiben sie. Aber plötzlich ändert sich etwas. Hitlers Truppen scheinen unbesiegbar zu sein, und Vivis Briefe werden kürzer, beinahe ausweichend. Da ist etwas mit ihrem Papa.
    Es ist nicht leicht, jetzt Kommunist zu sein , schreibt sie schließlich geradeheraus. Und Elna ahnt, was sie meint. Sie hat ja eine Menge gesehen und gehört, nicht zuletzt in der Familie Ask, wo die Frau des Hauses offene Bewunderung für Hitler hegt. Den Ingenieur hingegen, klein, übergewichtig und ständig bekümmert, obwohl der Krieg die Stahlproduktion der Fabrik begünstigt, hört Elna murmeln: » Sonderbare Burschen, gefährliche Burschen «, als sie ihm im Raucherzimmer den Abendkaffee serviert, wo das Radio die letzten Nachrichten über den Feldzug des deutschen Attila gegen seine scheinbar willenlosen Nachbarn verbreitet.
    Außer Schweden, bis auf Weiteres. Willenlos zwar, aber noch nicht eingekreist von Kanonenmündungen.
    Elna ist eines Tages Zeugin, wie eine
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