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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters
Autoren: Henning Mankell
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weitermachen?«, fragt Mutter und steht vom Tisch auf.
    »Wenn das Mädchen fragt, soll sie wohl eine Antwort bekommen«, sagt Vater bestimmt. »Frauenzimmer können übrigens auch so was kriegen, falls sie sich zu sehr verspannen, wenn die Babys rausgepresst werden.«
    Da geht Mutter in die Kammer und schlägt die Tür hinter sich zu. Aber niemand kümmert sich darum.
    »Eine Krankheit also«, sagt Elna.
    Vater nickt und nimmt sich noch Kaffee.
    »Können Schwule das nicht auch kriegen?«, fragt Nisse plötzlich und wird rot unter all seinen Pickeln.
    »Jetzt hältst du die Klappe«, antwortet Vater scharf. Auch er setzt seine Grenzen, und über Schwule redet man nicht.
    Elna hat eine gewisse Ahnung, was das ist. Die Pausenunterhaltungen haben mindestens ebenso viel nützliche Allgemeinbildung gebracht wie die langen Stunden im Klassenzimmer.
    Schwule treiben es miteinander.
    Und sie gehören erschossen, genauso wie diese verdammten Nazis, Hitlerteufel, Kommunisten …
    Vivi Karlsson schreibt, dass ihr Vater Kommunist ist, vielleicht sogar die ganze Familie, das geht nicht richtig aus dem Brief hervor. Elna sieht ihren Vater an, wie er sich Schnupftabak unter die Oberlippe stopft, wo er bald keine gesunden Zähne mehr hat. Sie studiert ihn. Er ist Sozialdemokrat, Mutter auch, genau wie Arne. Was Nisse ist, weiß sie nicht, aber jedenfalls kein Kommunist. Das würde Vater Rune niemals tolerieren. Vater Rune ist ein halsstarriger Gegner. Also kann Vivis Papa unmöglich so aussehen oder sich so verhalten wie er.
    »Die Revolution können sie im Maul führen«, sagt er. »Bei uns geht das langsamer, aber da wird auch jeder Grashalm ordentlich gemäht.«
    So sagt er immer. Aber so viel reden sie daheim gar nicht über Politik. Wenn man mit Politik nicht die ständigen Unterhaltungen über schlechte Zeiten, die Angst vor Entlassungen, Einschränkungen und Lohnkürzungen meint; eben das Brot auf dem Tisch . Nur wenn Vater so viel getrunken hat, wie er kriegen konnte, dann verwandeln sich alle um ihn her in eine Art Gespenster, so irritierend wie die Konservativen einschließlich ihrer Weiber. Da kann er so irrsinnig werden in seinem prophetischen Eifer, dass er sein normales Urteilsvermögen verliert, das blasse Kennzeichen des Alltags, das Küchenfenster aufreißt, einen Topf hinauswirft, was wie einKeulenschlag von der Straße widerhallt, und einen wütenden Vortrag hält, geradewegs hinaus in die Nacht. Versucht Mutter, das Fenster wieder zu schließen, riskiert sie, eine Ohrfeige zu bekommen, also verschwindet sie in der Kammer und schlägt die Tür hinter sich zu. Das ist ihr einziger Protest: eine andere Art, sich Luft zu machen, kennt sie nicht.
    Aber Rune säuft nicht oft, nicht mal regelmäßig an den Wochenenden. Er arbeitet, geht folgsam zu den Gewerkschafts- und Arbeiterversammlungen, sitzt immer weit hinten, »wo die Luft besser ist«, wie er es ausdrückt, und hat sich nie geäußert, nie das Wort ergriffen. (Na ja, möglicherweise in einer verschwommenen Vorzeit, als er den Jungsozialisten angehörte, aber das ist so unfassbar lange her …)
    Jetzt ist er zweiundvierzig und wird allmählich alt. Der Wechsel zwischen großer Hitze und großer Kälte hat zu Rheumatismus und Gefäßkrämpfen geführt. Jede Nacht muss er aufstehen und die Beine ausschütteln, damit das Blut wieder durch die Adern fließt. Aber sein Humor ist noch intakt, es braucht nicht viel, ihn zum Lachen zu bringen. Eine unanständige Geschichte, Tratsch über einen Vorarbeiter sind mehr als genug, dass sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet. Es macht ihm auch nichts aus, dass ihm ein paar Zähne im Oberkiefer fehlen. Wenn man auf dem Weg ist, alt zu werden, dann ist das eben so …
    Elna hat die gleichen widerspenstigen dunklen Haare wie ihr Vater, ebenso klarblaue Augen und einen Mund, der sich nach links zieht, wenn sie lächelt. Ihr Gesicht strahlt eine intensive Lebendigkeit aus. Sie ist vielleicht nicht schön, aber überaus lebhaft …
    Sie stellt sich Runes Reaktion vor, wenn sie erzählen würde, dass sie eine kommunistische Brieffreundin hat.
    Und wo in aller Welt liegt Landskrona? Das muss sie herausbekommen, bevor sie eine Antwort schreibt.
    Am Abend springt sie die Treppe hinunter zu Ester und ihrer Familie. Sie sind miteinander verwandt, aber Elna weiß nicht, wie. Bei Ester hängt eine Karte über dem Küchensofa, und dort findet sie mit viel Mühe die Stadt, die Landskrona heißt.
    Skåne. Was ist das? Eine
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