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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters
Autoren: Henning Mankell
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Kräfte bewahrt zu haben. Auch mit ihr war das Leben nicht gerade schonend umgegangen.
    »Wer hätte das vor vierzig Jahren gedacht«, sagt Vivi langsam, als sie am Abend zusammensitzen und Kaffee trinken.
    Jonas ist in Landskrona in seinem Theater, nur die drei Frauen sitzen zusammen im Wohnzimmer. Auf einem Regalsieht Eivor Bilder von sich, als sie jung war: das Gesicht, das sich dem Fotografen zuwendet, das neugierige Lächeln. Und daneben Erik, Elna und der kleine Jonas. Eine glückliche Familie.
    »Wer hätte das gedacht«, fährt Vivi fort. »Dass wir eines Tages hier sitzen würden. In Lomma. Und du mit einer erwachsenen Tochter. Wir, die wir … Wie hatten wir uns genannt? Jesses, das hab ich vergessen!«
    »Daisy Sisters«, antwortet Elna. »Der Name kommt langsam, als brächte sie es eigentlich nicht über sich, ihn auszusprechen. Vivi bemerkt es und beugt sich zu ihr hinüber, während sie gleichzeitig ein Lied zu summen beginnt.
    »Erinnerst du dich?«, fragt sie. »Das sangen wir so laut, dass die Vögel aus den Bäumen fielen. Ich ein paar Meter voraus, du dahinter. Herrgott …«
    »Als wir dich damals in Malmö besucht haben, wollte ich darüber sprechen«, erwidert Elna mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme. »Aber da sagtest du, man solle sich nicht an Erinnerungen hängen.«
    »Du weißt doch, dass ich immer eine große Klappe hatte! Das hat seine Vorteile, aber nicht nur. Und dann habe ich mich wohl auch verändert …«
    »Warum habt ihr euch Daisy Sisters genannt?«, fragt Eivor. »Das wollte ich immer schon wissen.«
    Vivi schau Elna fragend an. Erinnert sie sich? Nein, keine von beiden weiß es. Sie kamen wohl auf Daisy, einen amerikanischen Mädchennamen, und fanden, das klänge gut …
    »Ich war für Serrano Sisters«, sagt Elna, und ein schwaches Lächeln zieht über ihr Gesicht.
    »Doch, daran erinnere ich mich auch«, sagt Vivi zögernd. »Rosita Serrano« – sie wendet sich erklärend an Eivor – »war damals eine berühmte Sängerin.«
    »Aber wofür brauchtet ihr einen Namen?«
    »Das war schick damals. Es ist heute wohl auch noch so. Ich glaube, das war der einzige Grund.«
    Eivor sitzt da und hört dem Gespräch zwischen Vivi und Elna zu. Zwei Frauen, die eine gemeinsame Fahrradtour gemacht hatten, auf der Suche nach der unsichtbaren und verlockenden Grenze zum Krieg. Sie hört, wie sie über ihre Erinnerungen lachen, selbst Elna scheint sich für einen Moment von ihren Gedanken an den sterbenden Erik frei machen zu können. Ob sie wollen oder nicht – sie haben ein Alter erreicht, in dem es notwendig ist, Bilanz zu ziehen. Während sie zuhört, denkt sie an ihre eigenen Probleme. Linda, die ihr Kind austragen möchte, und sie selbst, die nicht weiß, was sie will, die aber trotzdem rasend wird bei dem Gedanken, dass sie nicht mehr schwanger werden könnte!
    Vivi nimmt Abschied, nachdem sie versprochen hat, Erik an einem der nächsten Tage zu besuchen. Elna und Eivor stehen in der Diele und schauen zu, wie sie ihren schwarzen Wintermantel anzieht. Unten auf der Straße steht ihr Auto, ein Volkswagen, und damit wird sie nach Lund fahren in ihre kleine Wohnung. Sie hat keine Kinder, denkt Eivor. Sie kann einfach gehen. Sie hat die Freiheit. Aber hätte sie selbst, Eivor, wählen wollen, um dieser Freiheit willen ohne ihre Kinder zu sein? Nein, da ist sie sich sicher, auch wenn es ihre einzige Gewissheit ist. Ohne Kinder wäre ihr Leben unnütz.
    Vivi ist fort, und sie sitzen wieder allein zusammen.
    »Geht es dir gut?«, fragt Elna.
    Eivor nickt. Doch, doch … Es geht. Alles geht.
    »Und … Per-Olof?«
    »Peo? Doch, das ist in Ordnung.«
    »Arbeitet er immer noch nachts?«
    »Er ist ja Nachtwächter …«
    Sie muss mich nicht unterhalten, denkt Eivor. Ich ertrage es nicht! Ich kann es nicht! Wir konnten das noch nie …
    Aber trotzdem erzählt sie von Linda, von Peo, von seinem Wunsch nach einem eigenen Kind, von dem ständigen Druck im Werk.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, erwidert Elna hilflos.
    »Du musst gar nichts sagen. Es reicht, dass du mir zuhörst.«
    »Ich würde dir so gerne helfen.«
    »Das weiß ich.«
    In dieser Nacht liegt sie wach und hört, wie Elna ruhelos herumläuft. Ohne dass sie recht weiß, wie ihr geschieht, ist sie sich plötzlich im Klaren darüber, was sie tun wird. Es ist, als ob das Bild von Erik, der da mit seinen Sauerstoffschläuchen liegt und vergeblich gegen den Erstickungstod ankämpft, alles so einfach mache. Er kann nicht
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