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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters
Autoren: Henning Mankell
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so war der Ausflug alles in allem doch nicht sehr spannend für sie gewesen. Aber sie trafen sich weiterhin, entdeckten Berührungspunkte und fühlten sich einer in der Gesellschaft des anderen wohl. Peo, in Dalarna geboren, war zweiunddreißig Jahre alt. Er wohnte in einer kleinen Wohnung im Amsbergsvägen, genau dort, wo der Dalälven eine große Biegung macht. Er war unverheiratet und Nachtwächter, seit er seinen Militärdienst in Skövde abgeleistet hatte. Nachdem sie sich einen Monat kannten, versuchte Eivor zusammenzufassen, was sie über seine Interessen wusste, und kam zu einem ziemlich verblüffenden Resultat: Trabrennen und Pilze sammeln! Aber inzwischen gab es durchaus Gefühle zwischen ihnen, und Eivor war sicher, dass sich vieles unter seinem schüchternen Äußeren verbarg.
    Als ihnen beiden schließlich klar wurde, dass sie verliebt waren (es war inzwischen Dezember, und Borlänge war ununterbrochenem Schneefall ausgesetzt), erlaubte Eivor ihrem Peo, sie zu Hause zu besuchen, und die Kinder, die vorgewarnt waren, mochten ihn. Eivor wurde jedenfalls nach dem Besuch nicht mit wütenden Protesten überhäuft. Aber sie fragte sich natürlich, wie sie reagiert hätten, wenn er aus dem Schlafzimmer aufgetaucht wäre und sich an den Frühstückstisch gesetzt hätte. Eivor fragte sich allmählich, wie sie es eigentlich so lange – Jahre! – ausgehalten hatte, ohne miteinem Mann ins Bett zu gehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Lust, selbst die Initiative zu ergreifen, wenn er das nicht bald tat.
    Es war ungefähr vierzehn Tage vor Weihnachten, als ihr eines Nachmittags eine wahnwitzige Idee kam. Sie kämpfte sich vom Werk durch das Schneegestöber nach Hause und stellte sich vor, wie ihre männlichen Kollegen reagieren würden, wenn sie eines Tages Bilder von nackten Kerlen an den Wänden sehen würden. Etwas Schönes, auf dem man den Blick ruhen lassen kann … Zunächst verscheuchte sie den Gedanken, aber er kam zurück, und ehe sie am Abend einschlief, hatte sie fest beschlossen, ihrem Impuls zu folgen. Sie weihte Mari Velander in die Sache ein, und nie würde sie das zustimmende Lachen vergessen, das aus Maris Kehle kam. »Mach das«, hatte sie geantwortet. »Mach das!«
    Von dieser Aufmunterung gestärkt, ging sie zu einem Tabakgeschäft und kaufte eine Zeitschrift mit einer lederbekleideten Blondine auf einem Motorrad als Titelbild. Darin entdeckte sie einen Bestellschein für Homosexuellenzeitschriften, und am folgenden Tag gab sie ihre Bestellung auf. Das Paket kam vor Ablauf einer Woche mit dem versprochenen diskreten Absender, und Eivor verbarrikadierte sich damit am Abend in ihrem Schlafzimmer. Nachdem sie die Zeitschriften mit einem gewissen Unbehagen durchgeblättert hatte, schnitt sie ein Bild nach dem anderen aus. Schließlich war der Bettüberwurf bedeckt von einer bizarren Bilderfolge, und sie versuchte sich vorzustellen, wie beispielsweise Linda reagieren würde, wenn sie in diesem Augenblick zur Tür hereinkäme.
    Für den nächsten Tag stellte sie den Wecker eine halbe Stunde früher als gewöhnlich, und nachdem sie sich rasch eine Tasse Kaffee gegönnt hatte, erreichte sie das Werk beinahe eine Stunde vor Schichtbeginn. Der Wärter an derPforte sah sie misstrauisch an, aber sie eilte an ihm vorbei und hoffte, dass Albin Henriksson noch nicht eingetroffen wäre. Aber der Essraum lag verlassen da, und nachdem sie die nackten Frauen heruntergerissen hatte, begann sie, ihre Bilder anzukleben. Sie hatte sich gut vorbereitet und wusste genau, welches Bild Holmsund in die Augen stechen sollte, welches Bild für Makadam geeignet war … Die ganze Zeit behielt sie die Tür im Auge, falls Albin Henriksson aus irgendeinem Grund auftauchen würde. Aber niemand kam, sie wurde in Ruhe fertig und gönnte sich nur einen schnellen Blick, um ihr Kunstwerk zu betrachten. Dann beeilte sie sich, in den Umkleideraum zu kommen.
    Natürlich gab es in der ersten Pause einen gewaltigen Krawall. Die Betroffenheit war möglicherweise noch größer und hilfloser, als Eivor es erwartet hatte. Die Männer standen fassungslos da, und zum ersten Mal in ihrem Leben verstand Eivor, was es hieß, seinen Augen nicht zu trauen.
    Sie setzte sich auf ihren Stuhl und sah ihnen amüsiert zu, während sie den Deckel ihrer Thermoskanne abschraubte.
    Lazarus war es, der das Schweigen brach. Er starrte auf sie, auf die Bilder, dann wieder auf sie – als ob er Zeuge eines Totschlags oder einer Misshandlung geworden wäre.
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