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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters
Autoren: Henning Mankell
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wohin. Eivor entschließt sich, einen Spaziergang zu machen, raus nach Åselsby, und fragt sich, was es eigentlich nützt, dass sie nun am gleichen Arbeitsplatz sind, wenn sie und Liisa verschiedene Schichten haben. Außerdem hat Liisa zu Eivor gleich am ersten Tag gesagt, dass sie die Männer nicht kenne, mit denen die Freundin zusammenarbeitet. Aber jetzt müsste sie trotzdem mit Liisa sprechen, fragen, was sie machen soll. Sie denkt daran, dass sie die anderen Frauen, die in ihrer Nähe arbeiten, nur flüchtig gegrüßt hat. Was sagen sie zu den Pornobildern? Es müsste doch möglich sein, etwas dagegen zu tun, wenn man sich einig war? Es ist kalt, aber sie geht weiter. Sie weiß, dass sie nicht schlafen kann, wenn sie sich nicht zuvor müde gelaufen hat.
    Sie läuft bis zum Industriegebiet hinaus und will geradeumkehren, als ein Auto neben ihr bremst. Sie ist sofort auf der Hut, aber dann sieht sie, dass es ein Auto einer Wachgesellschaft ist, und als er das Seitenfenster herunterkurbelt, erkennt sie den fluchenden Mann wieder, den sie in Romme auf der Trabrennbahn getroffen hat.
    Sie beginnen ein tastendes Gespräch, das nirgendwohin zielt und nirgendwohin führt. Sie kennen einander ja nicht. Eivor fühlt sich zurückversetzt auf den Marktplatz in Borås, zum endlosen Aufreißen der Mädchen. Aber jetzt ist es Borlänge 1977, und der Mann, mit dem sie spricht, trägt eine Uniform. Er ist Nachtwächter, ein Soldat aus den Nachtarmeen der neuen Zeit, und er erzählt, dass er sowohl Industrieareale als auch kommunale Büros bewacht. Dunkle, verlassene Korridore … Trifft er einen Menschen in diesen stillen Räumen an, so ist es automatisch ein Feind. Er fragt, was sie vorhat, und sie sagt, wie es ist, dass sie versucht, sich müde zu laufen, dass sie gerade dabei war, umzukehren und nach Hause zu gehen. Er fragt, ob er sie nach Hause fahren darf. Sie nickt (es ist die Kälte, nicht die Müdigkeit!) und setzt sich neben ihn auf den Beifahrersitz. Er sagt, dass es eigentlich nicht erlaubt sei im Dienst, aber … zum Teufel! Es ist warm im Auto, und sie hätte sich gewünscht, dass er aus Borlänge hinausführe, hinaus auf die endlosen Straßen, von ebenso endlosen Wäldern umgeben sind. Aber die Hejargata ist nicht weit entfernt, und schon bremst er vor ihrem Eingang. Mit einem Gefühl von Verlegenheit sagt sie, dass sie seinen Namen vergessen hat, aber er lacht nur und antwortet. Peo, Peo für Per-Olof. Sie steigt aus dem Auto, sagt »Gute Nacht« und lässt die Autotür zufallen. Dann geht sie zum Eingang und hört das Auto wegfahren.
    Am Abend darauf, als Eivor – ungewöhnlich genug – mit allen drei Kindern beim Essen saß, schellte das Telefon und Linda, die sich beeilte ranzugehen, kam zurück und sagte, esist jemand für dich, Mutter . Eivor sah wieder das misstrauische Schimmern in ihren Augen. Es war der Nachtwächter, der fragte, ob sie sich vorstellen könnte, sich einmal abends mit ihm zu treffen, aber nur, wenn sie Lust hätte. Ihr erster Impuls ist, Nein zu sagen, freundlich, aber bestimmt: Nein, sie hat ja keine Zeit (zu sagen, dass sie nicht will , ist ihr fremd). Aber sie sagt Ja, ein Ja mit Überzeugung, und sie kommen überein, dass er am Samstagvormittag anruft: Dann werden wir sehen . Anschließend nehmen Linda und Staffan sie ins Kreuzverhör, worauf sie so wütend wird, dass sie genau sagt, wie es ist: Sie wird Peo treffen, einen Nachtwächter. Der Ausbruch kommt so unerwartet, dass Linda und Staffan wirklich schweigen. Elin sieht so verängstigt aus, dass Eivor sie anlächelt und ihr durchs Haar fährt. Nach dem Essen stellt Staffan hastig die Teller und das Besteck zusammen und macht sich fertig, um augenblicks zu verschwinden. Er scheut Eivors Blick – aus Trotz, aus Scham? In einem hilflosen Versuch, ihm ihre Zärtlichkeit zu erweisen, streichelt sie ihm schnell über die Hand. Wenn sie ihm doch nur in einer geheimen Sprache signalisieren könnte, dass seine Sitzung im Badezimmer nichts ist, worüber sie bekümmert ist, nichts, weswegen sie ihn weniger mag.
    Ohne dass sie es eigentlich will, empfindet sie eine gewisse wohltuende Spannung bei dem Gedanken, den Nachtwächter Peo wieder zu treffen. Er wirkte nett, schüchtern auf eine beinahe komische Art, und Elin hatte keine Scheu vor ihm. Dieser zurückhaltende Mann bildet einen guten Kontrast zum Terror mit den Pornobildern. Am nächsten Tag hatten die Kollegen noch schlimmere aufgehängt, aber Eivor hat sich vorgenommen, dass sie
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