Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Daemonenhunger

Daemonenhunger

Titel: Daemonenhunger
Autoren: Timothy Carter
Vom Netzwerk:
Vincent, erhob sich und drückte seinem Bruder ein paar Faltblätter in die Hände.
    »Sehr enttäuscht«, wiederholte Max sicherheitshalber, für den Fall, dass die Botschaft noch nicht angekommen sein sollte. Als sein Bruder schwieg, nahm er an, dass er endlich zu ihm durchgedrungen war.
    Doch er irrte sich. In diesem Augenblick hatte Vincent nämlich etwas weitaus Interessanteres unter einem der Tische entdeckt. Dieses Etwas war kleiner als Big Tom, dunkelhäutig, hatte spitz zulaufende Ohren und trug eine Art Blätteranzug. Im ersten Moment hielt Vincent das Wesen für ein Spielzeug, doch dann drehte es den Kopf in seine Richtung, und der Blick seiner großen, tiefliegenden Augen kreuzte sich mit dem des Jungen. Das Wesen riss die Augen noch weiter auf, wahrscheinlich vor Über raschung, und grinste von einem Ohr zum anderen.
    In diesem Moment drehte Max sich um und stapfte davon. Für den Bruchteil einer Sekunde war Vincent abgelenkt, und als er wieder unter den Tisch spähte, war die seltsame Erscheinung verschwunden.
    »Was war denn das?«, sagte er laut und mehr zu sich selbst.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Big Tom, der sich angesprochen fühlte.
    Er hatte offensichtlich nichts mitbekommen, und Vincent sparte sich überflüssige Fragen wie: »Hast du das gerade gesehen?« Er sank auf seinen Stuhl zurück und starrte auf die Stelle unter dem Tisch, wo nun nichts mehr zu erkennen war. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken. Ihm fiel nur eine einzige Erklärung ein, was dieses Wesen sein mochte. Etwas, wovor ihn seine Eltern, sein Bruder und der Priester immer schon gewarnt hatten.
    Ein Dämon.
    Erst am vergangenen Sonntag hatte er sich einen langen Vortrag über Dämonen anhören müssen.
    »Sie lauern in jedem Winkel«, hatte Prediger Impwell seiner zweiundvierzigköpfigen Gläubigenschar versichert. »Sie wollen unsere reinen Seelen beflecken, uns vom wahren Weg abbringen und in ihr Spinnennetz der Sünden treiben. Daher müssen wir stets und überall wachsam sein. Schenkt jenen keinen Glauben, die euch beschuldigen, paranoid zu sein oder Propheten des Un tergangs zu spielen. Dämonen existieren, und wir müssen die Welt vor ihnen warnen.«
    Letzten Sonntag noch hatte Vincent diese Predigt zu Tode gelangweilt, doch mit einem Mal klangen die Wor te gar nicht mehr so absurd. Womöglich war das seltsame Wesen, das er gerade gesehen hatte, tatsächlich ein Dämon, und wenn dem so war, hatte das entsetzliche Konsequenzen. Unter anderem folgende: Wenn es Dämonen gab, existierte das Triumvirat dann auch?
    In diesem Fall drohte Vincent nämlich eine echte seelische Krise.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Erwartungsgemäß war die Heimfahrt die reinste Tortur. Die Eltern der beiden Jungen hatten mit wach sendem Unmut Max’ ausführlichem Bericht über Vin cents Misserfolg zugehört und waren anschließend über ihn hergefallen.
    »Hoffentlich kannst du uns erklären, warum du die Botschaft nicht mit aller Kraft gepredigt hast«, sagte sein Vater.
    »Allerdings«, bekräftigte Max, der nicht zurückstehen wollte.
    Vincent wusste genau, was nun kam. »Du hast das Triumvirat im Stich gelassen.« – »Ich weiß wirklich nicht, was Prediger Impwell dazu sagen wird, Vincent.« – »Spürst du denn nicht, wie das Feuer in deiner Seele brennt?« – »Du musst dir doch darüber im Klaren sein, wie wichtig die Botschaft ist.«
    Folgsam und wie auf Autopilot flocht er das eine oder andere »Ja, Mum« und »Ja, Dad« an den richtigen Stellen ein und war derweil in Gedanken mit weitaus wichtigeren Dingen beschäftigt.
    Er hatte einen Dämon gesehen, zumindest befürchtete er, dieses seltsame Wesen könnte ein Dämon gewesen sein. Er erwog kurz, seinem Bruder davon zu erzählen, aber Max nahm bestimmt an, dass er sich mit einer Phantasiegeschichte aus der Affäre ziehen wollte, und würde ihm kein Wort glauben.
    Hätte Max dieses Wesen bemerkt, dann hätte er es selbstverständlich sofort zu einem Dämon erklärt. Vincent hingegen war unvoreingenommener und neigte nicht zu vorschnellen Urteilen. Er hatte noch nie zuvor einen Dämon zu Gesicht bekommen, geschweige denn eine Vorstellung davon, wie Dämonen überhaupt aussahen. Dieses Wesen konnte alles Mögliche sein.
    Und wenn es nun ein Dämon war? Obwohl diese Vorstellung Vincent zutiefst beunruhigte, dachte er in Ruhe darüber nach. Bisher hatte er den Familienglauben zwar als unsinnige Zeitverschwendung abgetan, aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher