Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Daemonenblut

Daemonenblut

Titel: Daemonenblut
Autoren: Brigitte Melzer
Vom Netzwerk:
genommen, damit ich in Zukunft die eine oder andere Séance für sie übernehmen konnte. Die Séancen waren der Teil des Jobs, der mir am meisten Spaß machte. Eine Mischung aus geschickt platzierten Licht- und Geräuscheffekten und einer Menge Schauspielerei. Madame hielt mich für ein Naturtalent, und wer war ich, ihr da zu widersprechen?
    Ich verließ den Verkaufsraum durch den klappernden Vorhang aus Perlenschnüren. Dahinter lag ein kleiner Warteraum, an dessen Ende Madames Reich begann. Wie jedes Mal, wenn ich durch die Tür ins Hinterzimmer kam, hatte ich das Gefühl, eine andere Welt zu betreten. Wenn Madame Kunden hatte, waren die Fenster mit bunten Stoffen verhängt, die das Tageslicht zu einem abgeschwächten Zwielicht dämpften. Jetzt jedoch waren die Vorhänge zur Seite gezogen und ließen die Morgensonne hinein. Eines der Fenster stand sogar ein Stück weit offen.
    Die Luft war vom Geruch der unzähligen Räucherstäbchen erfüllt, die im Laufe der Jahre hier abgebrannt worden waren. Der exotische Duft, der sich in den Stoffen und Polstern festgesetzt hatte, gehörte ebenso hierher wie der Rest der Einrichtung.
    Hätte es ein Lehrbuch gegeben, wie das Zimmer eines Mediums auszusehen hätte, wäre vermutlich ein Foto von Madames Reich darin gewesen. Lediglich den riesigen geblümten Sessel in der hintersten Ecke hätte der Herausgeber wohl wegretuschiert. Warme Farben, bunte Stoffe und jede Menge kitschiger Dekogegenstände aus farbigem Glas. Von der Decke wölbten sich Stoffbahnen, hinter denen sich Lautsprecher verbargen, und die Wände waren mit orientalisch gemusterten Tapeten geschmückt. Mehrere Spiegel in verzierten Messingrahmen verliehen dem Raum eine ungeahnte Tiefe und ließen ihn aus manchen Blickwinkeln beinahe endlos erscheinen. Auf einer Kommode ruhte die obligatorische Kristallkugel in einer Halterung und im Zentrum des Raumes stand ein runder Tisch, dessen dunkles Holz von unzähligen Scharten zerfurcht war. Einige davon erinnerten an Kratzspuren– als hätten die Toten, zu denen Madame hier Kontakt aufnahm, versucht, eine Nachricht zu hinterlassen.
    Wenn sie denn Kontakt zu ihnen aufgenommen hätte.
    An eben jenem Tisch saß Madame Veritas, eine Tasse Kaffee vor sich, an deren Rand die Spuren ihres knallroten Lippenstiftes hafteten, und blätterte in einer Zeitschrift.
    » Guten Morgen, Madame. « Ich sprach das Madame französisch aus. Wer es wagte, die englische Aussprache zu benutzen, bekam es mit ihrem berühmten Blick zu tun. Dem Blick, von dem ich mir beinahe sicher war, dass er auch Stahl schmelzen konnte. Vielleicht lag es auch an den dunkel geschminkten Augen, die das Konzept der Smokey Eyes auf eine vollkommen neue Ebene brachten. Was ihren Namen anging, hatte sich jedenfalls niemand ein zweites Mal versprochen.
    » Nimm dir einen Kaffee und setz dich zu mir. « Ihre Armreifen klirrten melodisch, als sie in Richtung Kaffeemaschine deutete, die in einer Nische durch eine breite Stoffbahn vom Rest des Raumes abgetrennt war.
    Während ich mir Kaffee einschenkte, sagte sie kein Wort. Vermutlich hatte sie das Magazin wieder zur Hand genommen. Sie liebte diesen Frauenkram. Besonders die Modeseiten hatten es ihr angetan, was wirklich mehr als seltsam war, wenn man bedachte, wie wenig sie mit Mode am Hut hatte. Madame Veritas sah genau so aus, wie ich mir eine Wahrsagerin immer vorgestellt hatte: Ihr Haar war von einem künstlichen Dunkelrot, mit Locken, wie man sie nur mit Hilfe von Wicklern zustandebrachte. Sie liebte Röcke und Blusen und trug die wildesten Kombinationen an Mustern und Farben mit einer Selbstverständlichkeit, die mir allen Respekt abnötigte.
    Ein leises Klirren weckte meine Aufmerksamkeit. Die winzigen Kristalle, die an Schnüren von einem Lampenschirm herabhingen, wehten im Wind. Es dauerte ein bisschen, bis ich begriff, dass es kein Luftzug war, der sie in Bewegung versetzt hatte, sondern Drizzle, der darunter entlangmarschierte und dabei seine Hand über die Schnüre zog wie über die Seiten einer Harfe.
    Ich warf einen Blick zu Madame. Was würde sie sagen, wenn sie den Kobold in ihrem Allerheiligsten entdeckte? Die Frage erübrigte sich, denn Madame sah lediglich kurz auf und richtete ihre Aufmerksamkeit beinahe sofort wieder auf ihre Zeitschrift. Die Sache mit der Unsichtbarkeit war offensichtlich nicht gelogen.
    Un-sicht-bar-keit. Es war dieses eine unglaublich klingende Wort, das mir plötzlich bewusst machte, wie seltsam das alles war. Ein unsichtbarer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher