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Daemonenblut

Daemonenblut

Titel: Daemonenblut
Autoren: Brigitte Melzer
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Kobold. Ein Wesen, das nur in Geschichten existieren sollte, stand hier vor mir und benahm sich, als wäre es das Normalste der Welt. Gut, für ihn mochte seine Existenz normal sein, für mich war sie das nicht. Tatsächlich hatte ich Mühe, ihn nicht mit offenem Mund anzustarren.
    Als hätte er mein Erstaunen bemerkt, blieb Drizzle stehen und warf mir ein spöttisches Grinsen zu, ehe er auf die Kommode kletterte. Vor der Kristallkugel, die so groß war wie er selbst, blieb er stehen. Die Hände auf die glatte Oberfläche gestützt, beugte er sich vor und betrachtete sein Spiegelbild, ehe er die Hand hob und gegen das Glas klopfte. Wieder sah Madame kurz auf und wieder bemerkte sie nichts.
    Mein Blick zuckte zwischen Madame und Drizzle hin und her, als sich der Kobold zu mir umdrehte. » Stinknormales Glas « , sagte er, ohne dass Madame ihn hören konnte. » Nicht mehr wert als das Glasauge meiner Großmutter. Das ist dir doch hoffentlich klar, oder? «
    Um ein Haar hätte ich ihm geantwortet. Gerade noch rechtzeitig erinnerte ich mich daran, dass ich im Gegensatz zu ihm deutlich zu hören sein würde. Also beschränkte ich mich auf ein Nicken, das Drizzle ein Schnauben entlockte.
    » Alles Humbug hier! In die Zukunft sehen? Mit Geistern reden? Beschiss ist das! «
    Er sprang von der Kommode und setzte seinen Erkundungsgang fort, während ich mich wieder dem Kaffee zuwandte, um nicht doch noch in Versuchung zu geraten, vor Madame mit ihm zu sprechen. Nachdem ich ausreichend Milch und Zucker in meinen Kaffee gerührt hatte, nahm ich meine Tasse und setzte mich zu Madame an den Tisch.
    Sie schlug ihre Zeitschrift zu und warf sie mit Schwung auf die Fensterbank, wo sie um ein Haar Drizzle damit abgeschossen hätte, der es sich in der Sonne bequem gemacht hatte. Fluchend verpasste der Kobold der Zeitung einen Stoß, sodass sie zu Boden fiel. Madame machte sich nicht die Mühe, sie aufzuheben.
    » Ich möchte ein Ritual mit dir durchführen « , eröffnete sie mir stattdessen.
    » Wollen Sie etwas ausprobieren, damit Sie es später bei Ihren Kunden machen können? «
    Sie schüttelte den Kopf. » Ich möchte das für dich machen. «
    Bisher hatte ich lediglich als Versuchskaninchen herhalten müssen, um zu überprüfen, ob ein Schauspiel funktionierte, das sie neu in ihr Repertoire aufnehmen wollte. Meine Aufgabe war es dann, auf Dinge zu achten, die einem Kunden verraten könnten, dass es sich nur um eine gute Show handelte. Tatsächlich hatte ich einmal ein schlecht verstecktes Kabel und ein anderes Mal ein verräterisches Knacken im Lautsprecher entdeckt, das jedes Mal zu hören gewesen war, sobald sie die Geräuscheffekte dazuschaltete.
    Aber ein Ritual für mich? » Wozu soll das gut sein? «
    Madames Miene veränderte sich zu dem, was ich ihr Wahrsagerinnen-Gesicht nannte, jenem Gesichtsausdruck, den sie aufsetzte, kurz bevor sie ihren Kunden vermeintlich wichtige Erkenntnisse offenbarte. Die steile Falte zwischen ihren Augen und der ernste Blick waren Teil einer sorgfältig einstudierten Dramaturgie.
    » Ich möchte deinen Blick schärfen, indem ich dein drittes Auge öffne. «
    » Mein was? «
    » Dein drittes Auge. « Sie rutschte auf ihrem Stuhl nach vorne. Als wäre mit der Bewegung schlagartig alle Spannung aus ihrem Körper gewichen, glättete sich die Stirnfalte, und auch ihr Blick schien mich nicht länger zu durchbohren. » Das Auge, mit dem du Dinge sehen kannst, die unserem normalen Blick verborgen bleiben. «
    Ich hatte Mühe, ernst zu bleiben.
    » Das ist ein Test, oder? Sie sind schon mitten im Schauspielmodus. «
    » Nicht alles, was ich tue, ist eine Lüge. «
    Jetzt konnte ich mir das Grinsen nicht länger verkneifen. » Natürlich. «
    Die Stirnfalte kehrte zurück. » Ich kann tatsächlich zu Geistern Kontakt aufnehmen. «
    In den paar Wochen, die ich nun schon hier arbeitete, hatte sie nie versucht, mehr zu sein als die Schauspielerin, die sie nun einmal war. Warum wollte sie mir plötzlich weismachen, dass es anders war? » Wenn das stimmt « , überlegte ich laut. » Warum sind Ihre Séancen dann nur Show? «
    » Die Menschen, die in meinen Laden kommen, wollen mit der Vergangenheit Frieden schließen « , sagte sie. » Sie kommen zu mir, um einen Abschluss zu finden, nicht um zu hören, dass ihnen ein toter Freund oder Verwandter womöglich gar nicht verziehen hat. Sie wollen belogen werden. «
    » Aber Sie könnten es? Sie könnten diesen Menschen wirklich helfen? « Ich wollte es immer
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