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Da muss man durch

Titel: Da muss man durch
Autoren: Hans Rath
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weder Lisa noch sonst jemandem, den ich kenne, gesagt, dass
     ich in der Stadt bin. Der tägliche Plausch mit Kostas und regelmäßige Anstandsbesuche bei der Arbeitsagentur sind die kommunikativen
     Höhepunkte meines Lebens. Ich rede mit Kostas übers Wetter, ich trinke mit Ellen einen Kaffee und höre mir dabei an, dass
     ich den Kopf nicht hängen lassen soll. Sie denkt, dass ich zerknirscht darüber bin, noch immer arbeitslos zu sein.
    Dabei hab ich es nicht eilig, einen Job zu finden. Selbst wenn ich morgen in mein altes Leben zurückkehren könnte, wenn
     ich wieder eine große Wohnung, viel Geld, Verantwortung und einen Dienstwagen hätte, wäre mein eigentliches Problem dadurch
     nicht vom Tisch.
    «Willst du wissen, was mein eigentliches Problem ist?», frage ich. Fred, der gerade noch auf eine nahegelegene Wiese laufen
     wollte, hält inne, dreht sich um und hockt sich vor meine Bank wie ein alter Kumpel, der sich Zeit zum Zuhören nimmt.
    «Okay, wenn du es wirklich wissen willst, sage ich es dir.» Fred spitzt seine anderthalb Ohren. «Mein eigentliches Problem
     ist, dass ich mich völlig überflüssig fühle.»
    Mein Hund sieht mich ratlos an. Ich nicke. «Ja. Ich weiß nicht, was ich auf diesem Planeten verloren habe.»
    Fred hockt unbeweglich da und wartet. Ich lasse mich |262| auf die Bank sinken, strecke die Beine aus, schiebe eine Hand unter den Hinterkopf und blicke durch eine Baumkrone in die
     Nachmittagssonne.
    «In der Liebe hab ich kein Glück. Im Job auch nicht. Ich habe keine besonderen Fähigkeiten und nichts, wofür ich mich wirklich
     begeistere. Ich bin einer von Milliarden Mittelmäßigen, die in irgendeinem Büro irgendeinen Job erledigen, den ein anderer
     ebenso gut machen könnte. Eines Tages werde ich vielleicht eine Frau heiraten, die auch mit einem anderen glücklich geworden
     wäre. Ich bin völlig austauschbar. Ich könnte mein Leben auch damit verbringen, auf dieser Parkbank zu liegen und mit einem
     Hund zu reden. Versteh mich nicht falsch, Fred.» Ich schaue zur Seite. «Das ist nichts gegen dich persön   …» Ich stutze. «Fred?» Fred ist nicht mehr da.
    Ich erhebe mich, blicke über die Wiese und sehe, dass mein Hund inzwischen mit irgendwelchen Pudeldamen herumtollt.
    «Danke fürs Gespräch, du Arsch!», rufe ich über die Wiese und kassiere indignierte Blicke von einem vorbeispazierenden Rentnerpaar.
    Ich beschließe, meine Tage von nun an optimistisch zu beginnen. Dazu gehört, dass ich mich darüber informiere, was in der
     Welt passiert.
    «Du willst wirklich eine Zeitung bei mir kaufen?», fragt Kostas ungläubig.
    Ich lege das Geld auf den Tresen, er greift zum Handy. «Das muss ich gleich meinem Bankberater erzählen.»
    Mit einem starken Kaffee lasse ich mich am Küchentisch nieder und breite die Zeitung vor mir aus. Meine Laune verschlechtert
     sich. Es wimmelt von Katastrophen, Kriegen, Unfällen, Krisen, Familiendramen und anderen Grausamkeiten. |263| Ein Artikel erregt mein Interesse. Auf einem Jahrmarkt ist die Gondel eines Riesenrads abgerissen und dreißig Meter in die
     Tiefe gestürzt, aber wie durch ein Wunder hat der einzige Insasse unverletzt überlebt. Auf dem Foto ist der kleine Alphons
     zu erkennen, der von einem sichtlich schockierten Konstantin auf den Armen gehalten wird.
    Mit einem Lächeln schiebe ich die Zeitung zur Seite und blicke zu Fred, der gelangweilt in einer Ecke liegt. «Hast du eigentlich
     auch das Gefühl, dass heute ein besonderer Tag ist?», scherze ich. Keine Reaktion.
    Es klingelt.
    «Siehst du?», sage ich zu Fred und erhebe mich.
    Ich öffne. Es ist Audrey.
    «Musstest du unbedingt in ein Haus ohne Aufzug ziehen?», fragt sie schnaufend. Sie ist schwanger.
    «Komm rein», sage ich erstaunt.
    «Nein. Wir können das auch gleich hier   …» Sie unterbricht sich, umfasst ihren Bauch und verzieht dabei schmerzvoll das Gesicht. Dann drängt sie sich an mir vorbei,
     setzt sich auf einen Stuhl und atmet ein paarmal durch.
    «Möchtest du ein Glas Wasser oder so?», frage ich hilflos.
    Sie schüttelt den Kopf. «Geht schon wieder.»
    Ich setze mich. «Okay. Was ist los?»
    «Ich wollte unser Kind eigentlich zur Adoption freigeben», beginnt sie.
    «Aha», sage ich, ohne wirklich zu begreifen, was sie da gerade gesagt hat.
    Sie atmet hörbar aus. «Ich hab gedacht, es wäre unmöglich, um die Welt zu fliegen und nebenbei ein Kind großzuziehen. Andererseits
     kann ich meinen Job nicht aufgeben. Ich würde depressiv werden.
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