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Da muss man durch

Titel: Da muss man durch
Autoren: Hans Rath
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     als vierzig Jahre älteren Starfotografen, der sie am Tag ihrer Volljährigkeit heiraten wollte. Der Plan zerschlug |10| sich, weil Audrey zuvor die halbe Upper East Side flachlegte. Ihr Ehemann in spe verfiel dem Alkohol und versuchte, seinem
     Leben durch einen Sprung von der Brooklyn Bridge ein Ende zu setzen. Ein Zipfel seines Bademantels blieb jedoch an einem hervorstehenden
     Bolzen hängen, und so baumelte der Professor eine Stunde lang nackt über dem East River, bis ein von den Hilferufen genervter
     anderer Selbstmörder die Polizei informierte. Gerichtlich verordnete man Audreys Ex daraufhin eine Suchttherapie. Jetzt ist
     er trocken, hockt in einem ärmlichen Zimmerchen in der Bronx und fotografiert Hundewelpen für einen Züchter aus New Jersey.
    Audrey findet, dass ihr Ex Glück gehabt hat, weil der Selbstmordversuch ja auch schlimmer hätte ausgehen können. Ob der
     Professor das auch so sieht, wage ich zu bezweifeln, denn ich vermute, dass ein Mann, der früher die Rolling Stones oder
     den Sultan von Brunei fotografiert hat und nun den ganzen Tag Chihuahuas knipsen muss, sich nichts sehnlicher wünscht, als
     vom nächsten Bus überfahren zu werden.
    Audrey heißt eigentlich Andrea-Regina. Auf Anregung eines Londoner Violinisten änderte sie jedoch ihren Namen. Nach einer
     kurzen, aber heftigen Affäre verließ sie den liebeskranken Musiker kurz vor seinem ersten Auftritt im Teatro Colon. Prompt
     schwänzte der Mann die Vorstellung und fiedelte stattdessen stundenlang Tangomelodien vor Audreys Hotel. Am Ende waren drei
     Polizisten nötig, um den Unglücklichen von seiner schluchzenden Violine zu trennen.
    Audrey findet, dass sie ihm einen Gefallen getan hat, denn ihrer Meinung nach war er offensichtlich psychisch zu labil für
     eine internationale Karriere. Dass der Mann |11| sich bereits mitten in einer solchen befand, als Audrey ihn abservierte, scheint sie nicht einmal bemerkt zu haben. Überhaupt
     wird aus ihren Erzählungen deutlich, dass sie Männerherzen schneller schreddern kann als die Stasi ihre Geheimakten.
    Ein Schnaufen zu meiner Rechten erinnert mich daran, dass Henning Landeanflüge schrecklich findet.
    «Alles okay?», frage ich leicht besorgt.
    Henning nickt tapfer, die Augen geschlossen, schnauft aber weiter.
    «In ein paar Minuten sind wir da», versuche ich ihn zu beruhigen.
    Wieder nickt Henning, behält die Augen weiterhin geschlossen, presst nun die Lippen zusammen und atmet durch die Nase.
    Audrey schenkt mir ein zartes Lächeln, wahrscheinlich findet sie es süß, dass ich versuche, Henning vor einem Kreislaufkollaps
     zu bewahren.
    Ich lächle zurück, möglichst verhalten, denn sie soll nicht denken, dass ich mit ihr flirten möchte. Das hält sie allerdings
     nicht davon ab, mit mir zu flirten. Dabei bin ich bestimmt nicht ihr Typ. Ich hab so gar nichts von einem Model. In Unterwäsche
     sehe ich aus, als hätte man mich nach einer Pechsträhne aus dem Kasino geworfen.
    Ich wende den Blick von ihr ab, lasse den Kopf auf die Rückenlehne sinken und schließe die Augen. Ich möchte allein schon
     deshalb professionelle Distanz zu ihr halten, weil sie nach Lage der Dinge bald mein Boss sein wird. Sie gehört nämlich jener
     Familie an, deren Unternehmen ich in Zukunft leiten soll. Wir haben das zufällig kurz nach dem Abflug herausgefunden. Ich
     betrachtete gerade ein Foto von Iris, als Audrey sich bei dem Versuch, ihre Löwenmähne |12| zu bändigen, in ihrem Sitz streckte und dabei einen Blick auf das Bild warf.
    «Sie kennen meine Schwester?», fragte sie verdutzt.
    Ich sah sie an, ähnlich orientierungslos wie einst Varus im Teutoburger Wald. Eine Schrecksekunde lang fragte ich mich,
     ob Audrey wohl von der Sache mit mir und Iris wüsste, hielt diesen Gedanken aber dann doch für zu abwegig. Im nächsten Moment
     wurde mir klar, dass sich auch ein Bild von Audrey in meinem Dossier befinden müsste. Ich blätterte, wurde fündig und zog
     das Foto hervor. Audreys Gesichtsausdruck verdüsterte sich.
    «Wo haben Sie die Fotos her?» Es klang gereizt. «Sind Sie etwa einer von diesen Typen, die sich Bilder aus dem Netz ziehen?»
    «Sehe ich aus wie ein Internetperverser?», fragte ich verwundert.
    Sie musterte mich. «Eigentlich nicht, aber wer weiß?»
    Ich seufzte und reichte ihr die Mappe. «Das hier ist ein Dossier über Ihre Familie. Ein paar Bilder und allgemeine Informationen,
     um genau zu sein.»
    Ihr Gesichtsausdruck wechselte von argwöhnisch zu
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