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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Autoren: Heyne
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Junge früher das schönste Mädchen der Schule hässlich geredet hat. Wahrscheinlich wäre die total blöd zu einem, wenn man sie fragen würde, ob man sie auf ein Eis einladen darf. Und da eine solche Ablehnung in diesem Alter nicht zu den normalen Lebensrisiken zählt, sondern zu Naturkatastrophen, redet man sich ein, sie sei vielleicht einigermaßen ansehnlich, aber garantiert eine komplette Dumpfnuss. Etwas Ähnliches hat der Psychologe Paul Watzlawick in seinem berühmten Hammer-Beispiel beschrieben.
    Ein Mann braucht einen Hammer und beschließt, den Nachbarn zu fragen, ob er ihm seinen leihen würde. Auf dem Weg dorthin malt er sich die Szene aus, die Worte, mit denen er seine Bitte vortragen will. Mit jedem Schritt ist er überzeugter davon, dass der Nachbar sie ihm abschlagen wird. Er steigert sich richtig in diese Vorstellung hinein. Als der Nachbar schließlich auf sein Klingeln die Tür öffnet, schreit er nur: »Behalten Sie Ihren Hammer!«
    Bevor man selbst verletzt wird, haut man lieber vorsorglich als Erster zu.
    So ähnlich verhält es sich wohl mit der beliebten Behauptung, Psychologen seien doch selbst nicht ganz dicht. Da viele Menschen davon überzeugt sind, Psychologen neigten dazu, Menschen für verrückt zu erklären, beschließen sie in einer Art Vorwärtsverteidigung, Psychologen seien doch selbst daneben. Bevor die auf die Idee kommen, es von ihnen zu behaupten. Eigentlich steht dahinter die Frage, ob man selbst ganz normal ist. Damit beschäftigen wir uns gleich. Zunächst aber noch zu einem anderen Vorurteil, das Psychologen mitunter um die Ohren gehauen wird.
    Gern wird behauptet, dass Psychologen und Psychotherapeuten immer Ausreden und Entschuldigungen für Verbrecher suchen. Die kämen dann immer gleich mit der schlimmen Kindheit von Mördern und Kinderschändern und wären der Meinung, die seien gar nicht selbst schuld.
    Es gibt Verbrechen, die einfach nur hilflos und wütend machen. Solche heftigen Emotionen schließen häufig auch differenzierteres Denken aus, und da wird dann gern auch mal »Erklärung« und »Entschuldigung« durcheinandergebracht.
    Ich hatte anfangs schon einmal die Frage aufgeworfen, ob Psychologe oder Psychotherapeut vielleicht so etwas wie ein unehrenhafter Beruf im mittelalterlichen Sinne ist. Die Bezeichnung bezog sich damals auf die Berufe, die mit Schmutz oder Tod zu tun hatten. Damit wollen wir nicht in Berührung kommen, und wir verachten Menschen, die es tun, als könnten wir diese Bereiche damit aus unserem Leben verbannen.
    Aber wir reden hier nicht über Emotionen, sondern über Wissenschaft. Etwas, das sich weitestgehend ausschließt. Einem Wissenschaftler steht es gut an, unvoreingenommen an den Gegenstand seiner Untersuchung heranzugehen. Selbst wenn es sich dabei um Menschen handelt, die anderen schweren Schaden zugefügt haben. Ein Wissenschaftler hat nicht zu werten, sondern lediglich zu untersuchen und die Ergebnisse darzustellen. Die Wertung bleibt anderen überlassen, beispielsweise Politikern.
    Wenn sich herausstellt, dass ein Verbrecher eine unerfreuliche Kindheit gehabt hat, was in der Regel der Fall ist, dann ist das zunächst einmal eine Tatsache. Natürlich ist es angenehmer zu glauben, dass jeder Mensch über einen freien Willen verfügt, dass man sich an jedem Punkt für das Gute und gegen das Böse entscheiden kann. Das ist jedoch eine Diskussion, die wir nicht führen, sondern die wir den Philosophen und Theologen überlassen. Wir liefern nur die Fakten, und die besagen nun einmal, dass Verbrecher und Nichtverbrecher sich unter anderem darin unterscheiden, wie sie ihre ersten Lebensjahre verbracht haben.
    Welche Schlussfolgerungen eine Gesellschaft daraus zieht, ist unterschiedlich. Sie kann sagen: Das ist uns egal, wir bringen solche Leute um, oder sie kann die Täter wegsperren.
    Meine persönliche Meinung ist jedenfalls, dass es tausendmal besser ist, Verbrechen zu verhindern, als sich zu überlegen, wie man im Interesse der Opfer und der Gesellschaft Verbrecher bestraft. Dafür ist es wichtig zu begreifen, was Verbrecher überhaupt zu dem hat werden lassen, was sie sind. Selbst, wenn es bedeutet, sich schmutzig zu machen, indem man etwas genauer anschaut, was die meisten lieber meiden würden.
    Aber wir wollten uns ja die Geschichte mit der Normalität noch einmal genauer anschauen, die tatsächlich viele Menschen insgeheim beschäftigt.
    Trauen Sie sich ruhig, sprechen Sie die Frage aus:
    Bin ich normal?
    Das würde mich
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