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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Autoren: Heyne
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glaube nicht, dass alle Probleme auf der Welt sich dadurch lösen lassen, dass sämtliche Menschen eine Psychotherapie machen. Aber ich glaube, dass viele Probleme existieren, weil Menschen zu wenig von den unaufgeräumten Ecken in sich selbst wissen. Es gibt Psychotherapeuten, die sich mit den Lebensläufen größenwahnsinniger Diktatoren beschäftigt haben und gute Erklärungen dafür fanden, woran es lag, dass die irgendwann durchgeknallt sind.
    Ein Psychotherapeut kann dazu ermutigen, neue Wege zu gehen, sich Dinge zu trauen, von denen man bisher nur heimlich geträumt hat. Es macht den Umgang mit anderen einfacher, wenn man die Altlasten kennt, die man mit sich herumträgt. Wenn man weiß, wo und warum man besonders verwundbar ist, kann man leichter eine Gebrauchsanweisung für sich formulieren, die ein anderer auch verstehen kann, statt wütend und gekränkt zu sein und selbst nicht zu wissen, warum eigentlich.
    Ich finde es zumindest keine schöne Vorstellung, dass Paare oder Freunde immer wieder die gleichen Auseinandersetzungen haben und nicht einmal ahnen, worin eigentlich die Ursachen dafür bestehen.
    Eine weitere Biergartenmeinung, die üblicherweise nach so etwa zwei Bieren geäußert wird:
    Wer gute Freunde hat, braucht keine Psychotherapie.
    Falsch. Aus mehreren Gründen.
    Zum einen geht es in der Psychotherapie oft um Dinge, die tief im Patienten verborgen liegen, so tief, dass auch die beste Freundin sie nicht kennt. Schlimmer noch: So tief, dass nicht einmal man selbst sie kennt. Diesen Bereich der Psyche, sozusagen die Abstellkammer im Keller, von der man den Schlüssel verloren hat, nennt man das Unbewusste. Wie soll eine Freundin einem helfen, etwas aufzuräumen, an das beide nicht herankommen und von dem sie nicht einmal wissen, dass es existiert?
    Freundschaften sind wichtig. Wenn ein Patient erzählt, dass er gute, verlässliche Freunde hat, sind wir froh, weil das eine bessere Prognose ermöglicht als bei jemandem, der prinzipiell davor zurückschreckt, enge Beziehungen einzugehen und der sich vielleicht auch nur schwer auf die therapeutische Beziehung einlassen kann.
    Außerdem ermöglicht die Therapie schon durch ihre besondere Form, dass sie anders wirkt als eine Freundschaft. Bei einer Freundin hält man auch mal den Mund, weil man weiß, dass sie über manches anders denkt als man selbst. Von der Psychotherapeutin weiß man – vielleicht abgesehen davon, dass sie zwar einen ganz hübschen Pullover trägt, aber ziemlich abgeschabte Sessel hat – nichts.
    Wenn man in Therapie geht, weil man darunter leidet, dass man keine Kinder bekommen kann, weiß man nicht, ob die Therapeutin das Problem am eigenen Leibe erfahren hat oder ob sie glückliche Mutter von sieben Kindern ist. Ist die Freundin dagegen gerade schwanger, traut man sich eher nicht, sie mit seinem diesbezüglichen Kummer zu behelligen. Vielmehr zieht man sich zurück, weil man nicht glaubt, dass sie sich im Entferntesten vorstellen kann, wie es einem geht.
    Die Psychotherapeutin hingegen kann helfen zu begreifen, aus welchen Bestandteilen die Enttäuschung über den unerfüllten Kinderwunsch sich zusammensetzt. Solchen aus dem Obergeschoss, dem Bewussten, und solchen aus der verschlossenen Abstellkammer unten im Keller. Eine Freundin kann meist nur versuchen, zu trösten, mehr oder weniger hilflos.
    Ebenso, wie Freunde keine Psychotherapeuten ersetzen können, ist es auch nicht möglich, eine Psychotherapie bei sich selbst durchzuführen. Nein, auch Psychotherapeuten können sich nicht selbst heilen. Wenn eine Friseurin feststellt, dass ihre Haare geschnitten werden müssen, geht sie zur Kollegin. Wenn ein Psychotherapeut in eine Lebenskrise gerät, geht er zum Kollegen. Beide tun das aus dem gleichen Grund: Es gibt Stellen, wo man selbst nicht so gut hingucken kann.
    Und weil eine ungepflegte Frisur bei einer Friseurin genauso wenig vertrauenerweckend wirkt wie eine ungepflegte Psyche bei einem Psychotherapeuten.
    Vielleicht warten wir nicht ganz so lange wie andere Menschen, bevor wir unsere Probleme zu einem Kollegen schleppen, denn wir finden nichts Schlimmes daran, uns mit seelischen Kümmernissen einem Psychotherapeuten anzuvertrauen. Wäre ja auch noch schöner, wenn wir etwas verkaufen würden, von dem wir selbst nichts halten. Außerdem können wir in unserem Beruf nur dann gut sein, wenn wir dafür sorgen, dass unsere eigene Psyche einigermaßen fit ist. Dennoch ist bei manchen Menschen, die sich einem
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