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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Autoren: Heyne
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gefehlt. Der Patient beginnt: »Ich bin groß. Ich bin stark. Nichts und niemand kann mir widerstehen.« Und das ist erst der Anfang. Der Lastwagen ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu bremsen. Während der Schilderung verändert der Mann sich völlig. Seine Körperhaltung ist nicht mehr schlaff, sondern aufgerichtet, seine Wangen röten sich, und zum ersten Mal kann man sich vorstellen, dass ein ganz ansehnlicher Kerl aus ihm werden könnte.
    Nach der Traumarbeit fällt er schnell wieder in sein altes Selbst zurück, ist davon überzeugt, es sei in dem Traum tatsächlich nur um seine Ungeschicklichkeit gegangen. Als die Therapeutin ihm erläutert, dass auch der durch den Riesenlaster vertretene Teil zu seiner Persönlichkeit gehört, streitet er dies zunächst rundweg ab. Erst als sie ihn damit konfrontiert, wie anders sie ihn während seiner Schilderung wahrgenommen hat, kann er dies, wenn auch zunächst ungläubig, akzeptieren.
    Diese Traumarbeit wird zum Wendepunkt in der Behandlung. Patient und Therapeutin wissen nicht mehr, als sie vorher gewusst hatten. Es sind keine neuen Aspekte hinzugekommen, die den Lebenslauf des Patienten betreffen. Schon früher hatte er erzählt, sein älterer Bruder sei als Kind aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten, die sich meist in Form von Aggressionen geäußert hatten, in ein Heim gekommen. Und Patient wie Therapeutin waren sich einig gewesen, dass darin wohl die Ursache für die extreme Anpassung des jungen Mannes an die elterlichen Forderungen zu suchen war, die lauteten: Wenn du nicht spurst, kommst du ins Heim.
    Schon früh hatte er gelernt, alles Wilde, Lebendige in sich einzuschließen. Rein theoretisch war ihm das alles in der Behandlung schon klar geworden. Doch nun, zum allerersten Mal seit vielen Jahren, hat er es auch wieder gespürt. Und dieses Erlebnis ist so aufregend, ja lustvoll, dass er nicht mehr darauf verzichten will.
    Natürlich geht die Behandlung auch weiterhin in kleinen Schritten voran. Aber nun hat der Patient ein Ziel. Es ist nichts Imaginäres mehr, nicht die vage und verzweifelte Hoffnung, ein wenig von dem erringen zu können, was andere besitzen, sondern stattdessen etwas wieder zu erleben, was er selbst gespürt und am eigenen Leibe erfahren hat.
    Immer häufiger gelingt es ihm nun, seine Interessen zu vertreten. Einmal sagt er: »Da war ich zwar noch kein richtiger Lkw, aber wenigstens schon mal ein Sprinter.« Erleichtert wird das Ganze dadurch, dass ihm nun immer häufiger Erinnerungen an einen Teil seiner Kindheit kommen, als er noch lebendiger und wilder war, und schmerzliche daran, wie seine Eltern ihm all das genommen haben. Auch auf diese Weise zu begreifen, dass diese Lebendigkeit tatsächlich einmal zu ihm gehört hat, und sich auch heute noch – wenn auch nur nachts – zeigt, hilft ihm, sich zumindest ein wenig davon zurückzuerobern.
    Nicht immer geht es um die großen, dramatischen Themen im Traum, denn zum Glück ist unser Leben kein einziges Drama, nicht einmal im Bereich des Unbewussten. Mitunter träumen wir auch von ganz banalen, alltäglicheren Dingen.
    Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch Einblick in die Arbeit mit einer Patientin gewähren, die zu diesem Zeitpunkt beruflich zwar zufrieden ist, aber einfach sehr viel zu tun hat. Sie hat schon einige Male in den Sitzungen ihre Träume erzählt, sodass sie bereits die Erfahrung gemacht hat, dass dabei eigentlich immer recht spannende Ergebnisse zutage gefördert werden. Heute kommt sie allerdings und meint, der Traum, den sie in der Nacht zuvor gehabt habe, könne beim besten Willen nichts bedeuten, er sei zu absurd.
    Natürlich bittet die Therapeutin die Patientin, ihn trotzdem zu erzählen. Ein Traum, der nichts zu bedeuten hat! Das wäre ja noch schöner. Der Traum ist ganz kurz. Es geht lediglich darum, dass eine riesige Spiralfeder durch die Gegend rollt und alles niederwalzt, was ihr in den Weg kommt.
    Als die Patientin aufgefordert wird, als diese Spiralfeder zu sprechen, sagt sie spontan: »Von außen sehe ich ganz locker aus, aber eigentlich bin ich total angespannt.« Sie muss sofort lachen. Bei der Traumarbeit wird überhaupt häufig gelacht. Träume und Humor entspringen der gleichen Quelle und haben auch einige Gemeinsamkeiten.
    Sigmund Freud hat einen Aufsatz mit dem Titel geschrieben »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten«. Er ging davon aus, dass Humor und Unbewusstes etwas miteinander zu tun haben. In der Tat kann man nicht über längere Zeit
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