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Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Autoren: Heyne
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gut.
    Vielleicht war sie ein wenig skeptisch, weil sie wusste, dass derartige Arrangements bei den wenigsten Menschen funktionieren. Meistens führen sie dazu, dass einer leidet. Mindestens einer. Außerdem erfuhr die Therapeutin, dass der Ehemann der Patientin zu der Zeit gerade wieder was am Laufen hatte. Nein, damit könne sie schon umgehen, beteuerte die Patientin, schließlich sei es nicht das erste Mal, und bisher habe der Mann diese Geschichten ja auch irgendwann wieder beendet.
    Heute nun berichtet die Patientin, sie habe einen Traum gehabt: Sie geht mit dem Mann spazieren. Plötzlich springt eine Katze von einem Baum herab, krallt und beißt sich in der Schulter des Mannes fest und lässt nicht mehr los. Das sei alles gewesen.
    Der Anfang der Traumarbeit dient wie meist mehr zum Aufwärmen und bringt noch nicht viel Neues. Der Teil, der im Traum von der Frau repräsentiert wird, hat die altbekannten Gefühle: Schön, dass wir was zusammen machen, aber er ist so geistesabwesend. Hoffentlich denkt er nicht dauernd nur an die andere. Die Therapeutin bittet die Patientin, sich vorzustellen, sie sei der Ehemann in dem Traum. Das bringt nun schon ein bisschen mehr. »Gerade war doch alles noch so friedlich«, sagt der Teil der Patientin, der im Traum in die Verkleidung des Ehemanns geschlüpft war. »Und jetzt kommt diese fremde Katze. – Nein«, unterbricht sich die Patientin. »Diese fremde Pussy! Und die macht alles kaputt!«
    Wir merken jetzt schon deutlich: Da hat jemand die Kellertür aufgemacht, und es kommt ein wenig von dem nach oben, was sonst unten eingesperrt ist. Richtig spannend wird es aber erst, als die Therapeutin die Frau bittet, sich in die Katze im Traum zu versetzen. Erst jetzt kann die Patientin zeigen, was wirklich in ihr tobt. »Ich krall mich fest«, sagt sie, »ich beiß mich fest, ich lass ihn nicht mehr los!«
    Hier kommen die ganzen Gefühle aus dem Unbewussten ans Tageslicht, die bisher nicht leben durften. Die ganze ungeheure Wut, das Mit-Haut-und-Haar-haben-Wollen, das mit Vernunft oder Arrangements so gar nichts zu tun hat. Puh. Es ist erst einmal nicht leicht, plötzlich einen Teil von sich zu entdecken, den man bisher fein säuberlich verborgen gehalten hatte. Vor sich selbst. Und noch mehr vor dem anderen. Einfacher macht es das Leben erst mal nicht. Und tatsächlich ist die Frage auch dieser Patientin zunächst ein ratloses: »Und? Was mach ich jetzt damit?«
    Das ist dann meist wieder der alte Herr Über-Ich. Symptome, ja, die findet er in Ordnung. Aber von heftigen Gefühlswallungen hält er rein gar nichts. Da brauchen wir den netten Herrn Ich aus dem Zwischengeschoss, der versucht, einen Kompromiss zu finden. Wie der aussieht, kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Ob die Frau bei dem Mann bleibt, aber ihre Gefühle nicht mehr verleugnet, oder ob sie feststellt, dass sie für ein solches Arrangement doch nicht geschaffen ist und sich von ihm trennt – wer weiß. Auf jeden Fall wird sie merken, dass ihre Symptome weniger werden. Und das war bisher noch jedem Patienten die Sache wert. Auch wenn es sein Leben nicht einfacher macht.
    Als besonders aufregend empfinde ich Traumarbeit dann, wenn man dem Keller nicht nur einzelne Gefühle entreißen kann, sondern, wie im nächsten Fall, ganze Teile der Persönlichkeit des Patienten.
    Dieses Mal beobachten wir einen jungen Mann bei der Traum arbeit. Er ist ausgesprochen schüchtern und aggressionsgehemmt. Das war in der bisherigen Behandlung auch häufig Thema, ohne dass sich bis zu diesem Zeitpunkt daran Nennenswertes verändert hätte. Jedenfalls sagt der Patient in dieser Sitzung, er sei nun mal ein Trottel, das würde sich sogar in seinen Träumen zeigen.
    Hören Sie, wie Herr Über-Ich schon wieder tönt? Hören Sie’s?
    Die Therapeutin bittet ihn, den Traum zu erzählen. Der Patient berichtet, er habe im Traum eine Straße überqueren wollen, sei wie häufig etwas unaufmerksam gewesen – man könnte es auch »verpeilt« nennen – und deshalb beinahe von einem Lastwagen überfahren worden. Zunächst erzählt er lang und breit von seinen Defiziten, wie trottelig er sich wieder angestellt habe und so weiter, und so fort.
    Die Therapeutin bittet ihn, sich in den Lastwagen hineinzuversetzen. Sie steht so im Bann der eindrücklichen Schilderungen seines Über-Ichs, dass sie dem Patienten nicht mehr als die Vision eines kleinen, putzigen Fahrzeugs zutraut, das einem etwas zu groß geratenen Matchbox-Auto gleicht. Weit
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