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Sommernachtszauber (German Edition)

Sommernachtszauber (German Edition)

Titel: Sommernachtszauber (German Edition)
Autoren: Ellen Alpsten
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Berlin, im Juni 1935
    Bis zur Aufführung blieb Johannes noch eine halbe Stunde. Heute Abend ging sein Leben los. Die Zukunft war jetzt! Er blickte in den gut beleuchteten Spiegel, der die enge Garderobe vollkommen beherrschte, und versuchte, seine Gefühle auszuloten. Wer kein Lampenfieber hat, der macht seine Sache nicht gut, hatte Max Reinhardt, sein Lehrer an der Schauspielschule, immer wieder gesagt. Sah er aus wie Romeo, ein junger Mann aus Verona im 14. Jahrhundert? Er setzte sich gerade auf, sein Atem kam jetzt tief aus dem Bauch; mit einem Summen legte er seine Stimme tiefer. Das Herz schlug dennoch zu hart in seiner Brust. Du musst loslassen, Johannes. Erst dann bist du groß. Erst dann bist du frei. Frei von dir selbst. Auch das hatte Max Reinhardt immer wieder zu ihm gesagt, der, bei allem Respekt, auch ganz schön nerven konnte!
    Loslassen. Was für ein Unsinn! Er musste sich im Griff haben, darauf kam es doch an, oder? Dann würde er ein ganz Großer werden. Im Geist sah er die künftigen Plakate vor sich: Johannes Steiner ist Macbeth … ist Hamlet … ist Faust … ist König Lear! Ihm wurde angenehm schwindelig.
    Es klopfte an die Tür. War es schon Zeit?
    »Herein«, sagte er.
    Zuerst schoben sich mehrere Blumensträuße und dann die Garderobenhilfe durch die Tür. »Noch mehr Aufmerksamkeiten für Sie, Herr Steiner«, sagte sie. »Ich habe mir Vasen in der Kantine geliehen.« Sie hielt die Wasserkrüge der Belegschaft hoch.
    »Na, hoffentlich hat niemand Durst. Stellen Sie sie bitte hin, wo Sie Platz finden.«
    Sie zeigte auf einen großen Strauß. »Der hier ist von Ihrer Frau Mutter. Sie sitzt in der ersten Reihe, Herr Steiner. Elegant sieht sie aus! Könnten Sie mir vielleicht ein Autogramm besorgen? Ich habe ihren letzten Film fünfmal gesehen!«
    Johannes las die Karte am Strauß seiner Mutter. » Toi, Toi, Toi, mein Schatz! Ich drücke Dir die Daumen .«
    Die Garderobenhilfe wollte gerade noch etwas sagen, doch eine zierliche junge Frau pochte mit dem Knöchel an den Türrahmen und unterbrach sie selbstbewusst.
    »Klopf, klopf! Ist das die Garderobe des großen Johannes Steiner? Ich habe allllllllllle Ihre Stücke gesehen und …«
    »Mach dich nicht über mich lustig, Judith!«, unterbrach Johannes sie, konnte sich aber ein geschmeicheltes Grinsen nicht verkneifen. Die Garderobenhilfe drückte sich gegen die Wand, um ihnen nicht im Weg zu sein. Schließlich war Judith Goldmann die Tochter des Hauses und schon auf dem besten Weg, eine Berühmtheit zu werden. Dieser stumme Respekt Judiths Familie gegenüber beeindruckte Johannes immer wieder. Da wollte er auch hin. Seine Mutter war zwar ein Filmstar, aber Judith kam aus einer Familie, die bei der göttlichen Verteilung des Genies zweimal HIER! geschrien hatte. Er umarmte sie, ehe er sie etwas von sich schob und musterte.
    »Du musst dich umziehen, Judith. In zwanzig Minuten geht der Vorhang auf.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Gleich. Ich habe im Gegensatz zu dir schon auf der Bühne gestanden.«
    Von ihrer Gelassenheit hätte er sich gern eine Scheibe abgeschnitten. Er wollte so viele Dinge so sehr!
    »Ich wollte dir noch ein besonderes Toi Toi Toi wünschen!«
    Judith ging auf die Zehnspitzen und küsste ihn. Ihre Lippen waren voll und rot, auch ohne Schminke. Sein Schneewittchen: so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, so schwarz wie Ebenholz. Er erwiderte ihren Kuss zärtlich und fuhr durch ihre langen Haare.
    »Deine Haare sind ja noch nass!«, wich er entsetzt zurück.
    »Spießer!«, lachte Judith. »Ich war noch im See schwimmen. Es war heute Nachmittag so heiß, und wenn ich dich sehe, dann wird mir noch viel heißer …« Sie küsste ihn lange und zärtlich. Er spürte sein Herz fester schlagen, ehe sie sagte: »Außerdem hat Julia Arierin zu sein, da muss ich mir als Jüdin diese kratzige blonde Perücke aufsetzen. Zu Befehl, mein Führer! Dabei nisten da sicher Läuse drin. Hoffentlich juckt es mich bei der Balkonszene nicht am Kopf! Oder beim Sterben! Stell dir mal vor …« Sie kicherte.
    Johannes musste auch lachen. »Wehe, du kommst mit nassen Haaren zum Standesamt!«
    »Was dann, hm?« Sie schlang die Arme um seinen Hals und sah ihn herausfordernd an. »Sagst du dann etwa Nein?«
    Er ließ sie einen Herzschlag lang auf seine Antwort warten. Seine Art, sich von niemandem in die Karten sehen zu lassen, faszinierte Judith und band sie an ihn, das wusste er. Wie viele Johannes gibt es? , fragte sie ihn manchmal. Und wer bist du
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