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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion
Autoren: Tanith Lee
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noch auf dem Boden lag, hob nicht den Kopf. Die fünf Leibwächter an der Tür hatten ihr Grinsen aufgegeben und leiteten voll offensichtlichen Unbehagens den Rückzug ein.
    Hasmun hob die Arme. Er begann zu singen, mit einer dunklen und schwingenden Stimme, die völlig anders klang, als wenn er sprach. Schweflig und bitter tropften die Worte des Zaubers in den Raum. Das Schimmern von Seide und Sonne verblaßte; das Fenster verdunkelte sich, als sei am hellen Tag die Nacht angebrochen. Die Flugratte rollte sich in ihrem Käfig zu einer zitternden Pelzkugel zusammen. Die Luft in der Kammer veränderte sich, wurde warm und bedrohlich. Der Klang einer Flöte ertönte, zerschrillte das Trommelfell. Die Luft bäumte sich auf, wurde zu einem Wind aus einer Wüste, die niemals Schatten gesehen hatte.
    Ein Sturm tobte durch das Zimmer.
    Das Chaos berührte den Raum und der heiße Atem der Hölle.
    Dann war alles still.
    Der Zauber war vollendet. Hasmun stieß einen triumphierenden Laut aus, den er nicht unterdrücken konnte. Einen Laut, der zerbrach, mit einem Schrei furchtbarer Qual verschmolz, bis auch dieser erstickte.
    Hasmun fiel auf die Knie. Er krallte nach seinen Augen, der Nase, dem Mund. Sein Gesicht verzerrte sich; seine Hände schienen an seinen Wangen festzufrieren. Auf den Knien rutschte er weiter, und während er hin und her schwankte, kam ein verzweifeltes Wimmern über seine Lippen. Es mochte die Fortsetzung seines ersten Schreis sein. Nur Cyrion erkannte es als die Umkehrung des Zaubers, herausgepreßt zwischen starren Kiefern aus Stein, durch reine Willenskraft. Und Cyrion bewegte sich wie ein Blitz. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er dem Griff des Magiers den Teerklumpen entwunden, in dem sich die Wachspuppe befand. Im nächsten Augenblick warf er den schwarzen Brocken in das Kohlenbecken. Eine Stichflamme schoß empor. Der Teer begann zu schmelzen. Das darinnen befindliche Wachs ebenfalls. Hasmun konnte seinen Zauber jetzt nicht mehr vollenden. Zappelnd wälzte er sich über den Teppich, in dem furchtbaren Bemühen, seine Qual hinauszubrüllen, aber nur ein dünnes Quieken kam aus seiner Kehle. Bis endlich jeder Laut und jede Bewegung erlosch und er rücklings gegen den Kosmetiktisch stürzte, dessen exotische Last in Bewegung geriet. Ein Regen von Puder und Rouge fiel auf ihn nieder, doch Hasmun rührte sich nicht. Die Salben ergossen sich über sein schwarz verfärbtes, stilles Gesicht. Der silberne Spiegel neigte sich lautlos auf dem Ständer und zerbrach an seiner Schulter.
    Er war tot, und als die letzten Reste von Teer und Wachs in dem Becken verschmolzen, erhob sich eine dünne Rauchfahne von seinen makellosen Kleidern, seinem unverletzten Leib.
    Die Wächter in der Tür erschauerten, sahen, daß Cyrion sie nicht beachtete, drehten sich um und flohen. Sie hatten keinen Herrn mehr. Sie hatten eine Geschichte, über Cyrion den Magier.
    Cyrion blickte auf das Mädchen. Zwischen den Fingern und den Teppichfransen hindurch hatte sie zugesehen. Ein wenig von dem niedersinkenden rosa Puder haftete an ihrer Haut. Mit einer rosafarbenen und einer kreidebleichen Wange erwiderte sie Cyrions Blick.
    »Du bist auch ein Zauberer«, murmelte sie. »Wirst du mich ebenfalls töten?«
    »Kein Zauberer«, sagte Cyrion. Eine kaum wahrnehmbare Spur Müdigkeit lag in seinen Augen.
    »Aber -«, fragte Mareme und erhob sich noch ein bißchen mehr aus ihrer gebeugten Haltung, »aber wie -«
    »Ich hatte die Puppe«, erklärte Cyrion. »Er hatte das Wachs so geformt, daß es mir ähnelte. Ich veränderte die Gestalt mit Hitze und der Nagelfeile einer Frau und färbte Haut und Haar mit Pudern und Salben aus ihren Krügen. Als ich fertig war, ähnelte die Puppe Hasmun ebenso sehr, wie sie zuvor mir ähnlich gewesen war. So wie sein Zauber beschaffen war, genügte das. Er sollte das Ding finden. Du hast mir mein Vorhaben noch erleichtert. So sprach er seinen Zauber und starb nach Atem ringend, mit verkohlter Haut und verglühenden Augen im Inneren eines Klumpens Teer.«
    Sie setzte sich auf.
    »Ich vertraute darauf«, sagte sie, »daß du ihn überwinden würdest.«
    »Meine vertrauensvolle Mareme«, sagte Cyrion.
    Sie zitterte plötzlich bei dem zärtlichen Ton in seiner Stimme. »Aber du wirst mir verzeihen - ich hatte so viel Angst -«
    »Ich verzeihe dir«, sagte Cyrion. Er betrachtete die Spiegelscherben neben dem toten Magier. Aus einer Tasche seines schwarzen Kleides nahm er ein paar Münzen und warf sie über Hasmuns
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