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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion
Autoren: Tanith Lee
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rotglühender Kohle versehen hatte, vor dem Laden. Die Flugratte fühlte sich zum Fenster der Kammer hinaufgehoben und auf ein Regal gesetzt. Dann war Cyrion nach vorn gestürmt, um die Wächter an der Tür abzulenken. Nachdem er seine Verfolger abgeschüttelt und halb erwürgt hatte, kehrte Cyrion in einem Bogen in die Straße der Drei Mauern zurück. Lautloser als ein fallendes Blatt zog er sich am Fenstersims empor.
    Die Flugratte, auf deren Schwäche für alles Glitzernde man sich unbedingt verlassen konnte, hatte ihre Arbeit bereits beendet. Die im Licht der Hängelampe funkelnden Nadeln im Leib der Puppe hatte die Ratte sogleich angezogen. Sie war zu dem Lacktischchen hinabgeklettert, wozu ihre Leine eben lang genug war. Nachdem es ihr nicht gelang, die Nadeln aus dem Wachs herauszuziehen, hatte sie die ganze Puppe mit ihren scharfen Raubtierzähnen gepackt und war wieder auf den Fenstersims geklettert. Da die Leine an dem Baumast festgebunden war, konnte sie nicht weglaufen. Dann, wie üblich, kam jemand, diesmal Cyrion, und nahm ihr die hart erarbeitete Beute wieder weg.
    Es war eine lange Nacht gewesen, und sie war noch nicht vorüber.
    Cyrion stellte die Lampe auf Maremes Schminktisch und drehte die Wachsfigur, die so viel Ähnlichkeit mit ihm selbst hatte, in seiner beringten rechten und seiner ungeschmückten linken Hand.
    Mareme erwachte. Ihr Körper war ausgeruht und erholt, ihr Kopf klar, doch ihr Herz war schwer wie Blei.
    Sie wußte, was in dem Wein gewesen war. Manchmal hatte sie das Mittel bei anderen angewendet oder, in den kleinen Mengen, die Euphorie bewirkten, bei sich selbst. Wäre sie nicht so aufgeregt gewesen, hätte der Duft sie vom Trinken abgehalten - dennoch, Cyrion war gut zu ihr gewesen, hatte ihr Schlaf und Vergessen geschenkt. Wieder brach sie in Tränen aus, und durch die Tränen hindurch sah sie ihn am Fenster stehen und zu ihr herschauen. Er war so makellos, wie nur er sein konnte, wie frisch geprägtes Silber. Rasiert, gebadet, gekämmt, einzigartig und magisch - und in das schwarze Gewand der Wüstennomaden gekleidet, das er auf Reisen zu tragen pflegte.
    »Ja«, sagte sie, »das ist klug. Diesmal bin ich froh, daß du fortgehst. In der Wüste bist du vielleicht in Sicherheit. Wann brichst du auf?«
    »Bald«, erwiderte er ruhig, »aber vorher gibt es noch etwas zu erledigen. Du stehst besser auf, mein Herz. Hasmun wird in Kürze hier sein.«
    Ihre Augen weiteten sich und huschten dann über den Schminktisch. Die Salbentöpfe standen anders, als sie es in Erinnerung hatte. Der hohe Krug mit Kohl war umgefallen. Und als er sich bewegte, bemerkte sie, daß Cyrion das eigentlich mehr der Dekoration dienende Kohlenbecken entzündet hatte. Der Geruch nach Teer hing durchdringend in dem luxuriösen Raum.
    »Was hast du getan?«
    »Rate mal«, sagte Cyrion.
    Sie schlang sich das Gewand aus perlenbestickter Seide um den Leib, als Faustschläge gegen die Tür hämmerten. Eine Erlaubnis, einzutreten, wurde nicht abgewartet. Die Tür hielt nur wenige Minuten. Dann polterte sie mit zerbrochenen Scharnieren in den Raum. Fünf von Hasmuns Schlägern drückten sich grinsend beiseite, und Hasmun, der Puppenmacher, trat ein.
    Für Mareme hatte er ein höfliches Nicken. Cyrion bedachte er mit einem liebevollen Lächeln.
    »In der Regel«, sagte Hasmun, »habe ich es mit Feiglingen und Dummköpfen zu tun. Einem Schaf zu begegnen, das in das Schlachtmesser beißt, ist eine angenehme Abwechslung. Die ich zu schätzen weiß. Beinahe könnte ich mich geneigt fühlen, dich zu verschonen. Aber alles in allem glaube ich doch, daß ich es vorziehe, dich tot zu sehen. Eine Kerze auszublasen ist amüsant. Aber dich zu töten, bedeutet, eine Sonne auszulöschen. Wie könnte ich da widerstehen?« Cyrions Haltung beinahe erhabener Gelassenheit veränderte sich nicht. »Und jetzt, Meister Wunderschön«, meinte Hasmun, »wo ist die Wachspuppe?«
    »Vielleicht«, erwiderte Cyrion sanft, »steckt sie in deinem Arsch.«
    Hasmun zuckte die Schultern. Er winkte seine Wachen heran und brachte sie dann mit der präzisen Geste zum Stehen, mit der er die Überlegenheit von Gehirn über Muskeln zum Ausdruck brachte.
    »Mareme«, sagte Hasmun, »möglicherweise könntest du dich bereit finden, mir zu sagen, wo dein Kunde die Puppe versteckt hat. Es würde dir eine grobe Behandlung deiner Möbel und deiner Person durch diese Raufbolde ersparen. Es fällt mir schwer, mußt du wissen, sie unter Kontrolle zu
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