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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion
Autoren: Tanith Lee
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gerade eben in tausend funkensprühende Scherben zerplatzt war. Als einer der Wächter die züngelnden Brocken fluchend zur Seite stieß, tauchte eine Erscheinung auf, die wild über die Straße hüpfte.
    Es war die dünne und ausgemergelte Gestalt eines Matrosen der armseligsten Sorte. Um den Kopf trug er das gestreifte Stirnband der Seefahrer - das genauso schmutzig war wie der ganze Kerl -, und ansonsten war er in abstoßende Lumpen gekleidet, mit riesigen, flatternden Taschen, wovon alles nach Teer und Kornschnaps stank, und mit einem dunkelbraunen, stoppelbärtigen Gesicht, das so verzerrt war wie das eines Verrückten, verfluchte der Matrose Hasmun mit den bildhaftesten Ausdrücken. Drei der Wächter versuchten, der Gestalt habhaft zu werden, aber sie tanzte beiseite.
    »Möge Hasmun, diese stinkende Mistschwein, unter dem Auswurf der Hölle ersticken!« heulte der Matrose, »Und ihr, seine sabbernden Speichellecker, geboren aus Schweinescheiße und gezeugt von Hundepisse, mögt ihr in eurem eigenen Dreck gepökelt liegen, bis das Meer sein Salz zurückfordert!«
    Fünf Wächter verfolgten den Matrosen, der sofort die Flucht ergriff, wobei er sie weiter anfeuerte, indem er ihre Ahnen und Urahnen mit den schmeichelhaftesten Kosenamen belegte. Auf halbem Wege aber blieben die Männer stehen, weil sie sich an ihre Pflichten gegenüber dem Magier erinnerten, bis auf zwei, die im Kielwasser des Matrosen um eine Ecke bogen und in eine unbeleuchtete Seitenstraße rannten. Im nächsten Augenblick stürzten sie röchelnd und halb erwürgt zu Boden, da ihre Kehlen äußerst heftig mit einer dünnen Schnurr in Berührung gekommen waren, die der Matrose kurz zuvor über die Straße gespannt und unter der er sich auf seiner Flucht hinweggeduckt hatte.
    Als die glücklosen Verfolger immer noch würgend und fluchend zur Apotheke zurückkehrten, gab es sofort einen lautstarken Wortwechsel über die Person des Matrosen. Schließlich dachten sie daran, die Hängelampe in der Kammer des Magiers zu löschen.
    Benebelt wie sie waren und dazu noch wütend bis zum Platzen, wäre es durchaus möglich gewesen, daß sie es nicht einmal bemerkt hätten. Aber einer, der gegen das Lacktischchen stieß, blickte darauf herab. Und sah einen leeren Fleck, wo zuvor Cyrions wächsernes Abbild gelegen hatte.
    Cyrion hatte den Matrosen in einem der Bootsschuppen gefunden, die es hier und da am Hafen gab, wo er seinen Schnaps- und Drogenrausch ausschlief, um dann bei Sonnenaufgang wieder zu seinem Schiff zurückzuwanken.
    Jetzt allerdings war die furchterregende, nach Schnaps stinkende Gestalt nicht - weder schwankend noch sonst wie - auf dem Weg zum Hafen, sondern bewegte sich entlang einer der besseren Straßen Jebbas. Schließlich gelangte er an eine Treppe, schwang sich gewandt hinauf, öffnete eine Tür mit einem Schlüssel, der gewöhnlich an einem zarten Mädchenhals hing, und trat in die Wohnung Maremes, der schönen Kurtisane. Nachdem er, mit einer Geschwindigkeit, die einige Vertrautheit mit dieser Umgebung vermuten ließ, eine Lampe entzündet hatte, entfernte der Seemann sein gestreiftes Kopftuch und säuberte sich das Gesicht, wobei das blonde Haar, die Bartstoppeln und die Haut Cyrions zum Vorschein kamen.
    Der betrunkene Matrose in dem Bootsschuppen, der in den kostbaren Kleidern erwachen würde, die Cyrion ihm für seine muffigen Lumpen dagelassen hatte, dürfte wohl kaum Grund haben, sich zu beschweren. Allenfalls könnte er seine halbleeren Weinkrüge vermissen, die in und vor dem Laden des Magiers ein explosives Ende gefunden hatten.
    Mareme, die immer noch schlief, hatte nichts von den Veränderungen bemerkt, die Cyrion unter Zuhilfenahme ihrer eigenen Kosmetika an sich vorgenommen hatte. Und sie sah auch nicht, wie Cyrion aus einer der geräumigen Taschen der Seemannskleidung einen zappelnden Beutel holte und aus dem Beutel den Grund für das Zappeln - die zornige Flugratte.
    Nachdem er das Tierchen durch Streicheln etwas besänftigt hatte, nahm Cyrion ihm die goldene Leine ab und setzte es wieder in den Käfig. Dann zog er aus einer anderen Tasche die Wachspuppe.
    Er hatte die Ratte zu der Hofmauer des Goldschmieds getragen, der Hasmuns unmittelbarer Nachbar war. Dort band er die lange Leine an einen passenden, überhängenden Ast. Sein Geschrei und das Klirren des Tonkrugs hatten die Wächter in die Kammer gelockt und sie veranlaßt, die Lampe anzuzünden. Dann zerplatzte der zweite Krug, den er schon vorher mit einem Stück
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