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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion
Autoren: Tanith Lee
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dummerweise, hatte sie versucht, sich einen Liebestrank zu verschaffen, aber der erhoffte Erfolg war ausgeblieben.
    »Wie könnte ich Hasmun vergessen?« fragte sie jetzt. »Hör zu, mein Gebieter, ich habe dir nicht alles gesagt. Seine Apotheke liegt in der Straße der Drei Mauern. Geht man daran vorbei, kann es vorkommen, daß eine Puppe mit menschenähnlichen Formen in seinem Fenster liegt, wie um seine handwerklichen Fertigkeiten zur Schau zu stellen. Und in der Puppe stecken juwelenverzierte Nadeln. Plötzlich steckt dann eine Nadel in ihrem Herzen, jemand wird begraben, und die Puppe verschwindet aus dem Fenster.«
    »Davon habe ich schon gehört«, meinte Cyrion. »Hat niemals jemand versucht, dort einzudringen, die Puppe zu stehlen und die Nadeln zu entfernen?«
    »Wie könnte das gelingen, während der Magier wacht? Und selbst wenn er sich zurückzieht, um zu schlafen, bewachen zehn seiner menschlichen Bestien das Haus.«
    Cyrion griff nach dem Becher aus blauem Kristall, der an seiner Seite stand, während die Sterne, so unzugänglich wie er, vor dem Fenster ihre Pracht entfalteten.
    »Sag mir«, fuhr Cyrion fort, »weißt du, wie er seine Puppen herstellt?«
    »Wer in Jebba weiß das nicht? Hasmun prahlt mit seiner Kunst. Er benötigt nichts von seinem Opfer, muß es nur einmal gesehen haben. Er formt die Puppe nach der Erscheinung dessen, dem er schaden will, und belegt sie dann mit einem grausamen Zauber, der Mann und Puppe verbindet. Während der Zauber wirksam ist, foltert er die Puppe mit seinen Nadeln.
    Dann löst er den Zauber wieder. Ohne den Zauber ist die Puppe leblos, nur eine Puppe. Der Mann spürt keine Schmerzen mehr, faßt neuen Mut, glaubt, Hasmun hätte ihm vergeben. Dann erneuert Hasmun den Zauber und quält ihn weiter, bis er ein Krüppel ist oder schreiend stirbt. Und mit diesem Mann, mein weiser Gebieter, hast du einen Streit angefangen. Warum?«
    »Ich bin«, erklärte Cyrion bescheiden, »ein Masochist.«
    In den Fenstern spiegelte sich das Licht der Sterne. Die Flugratte in ihrem goldenen Käfig verlangte zwitschernd, herausgelassen zu werden. Von der zarten, grauweißen Färbung einer Taube, mit runden Ohren, feingezeichnetem Gesichtchen und großen, goldenen Augen, war die Flugratte die zweite Liebe Maremes. Obwohl es so winzig war, führte sie das Tierchen manchmal an einer langen Leine auf den oberen Straßen Jebbas spazieren. Seine Angewohnheit, funkelnde Dinge zu stibitzen, hätte unangenehme Folgen haben können, hätte nicht Mareme, die mit allen Wassern gewaschen war, es verstanden, daraus Nutzen zu ziehen. Oft, in zurückliegenden, weniger üppigen Tagen hatte sie die Flugratte die achtlos fallengelassenen Kleider ihrer Kunden plündern lassen, um den Betreffenden dann nachzueilen und die entwendeten Gegenstände mit einer liebreizenden Entschuldigung für ihr Haustier zurückzugeben. Daher rührte ihr nicht so ganz berechtigter Ruf der Ehrlichkeit.
    Mareme erhob sich vom Bett und ließ die Flugratte aus dem Käfig. Sie hüpfte sofort zu ihrem Kosmetiktisch, wo sie zwischen den hohen Onyxkrügen mit Puder, verschiedenfarbigen Cremes und schwarzem Kohl sitzenblieb und sich hin und wieder in dem Spiegel aus kostbarem, silbergerahmten Glas betrachtete - Cyrions letztes Geschenk. Die Kristallkaraffen und die kleine, glitzernde Nagelfeile hatte Mareme vor ihren gierigen Blicken in Sicherheit gebracht. Einmal hatte Cyrion das winzige Geschöpf dabei beobachtet, wie es einen Smaragdreif, der doppelt so groß war wie es selbst, zu seinem Nest in den Käfig schleppte und dann zurückkam, um sich auch noch die Perlen aus der Schmuckschatulle zu holen.
    Mareme kniete neben Cyrion nieder.
    »Was wirst du tun, Cyrion?«
    Es wurde rasch dunkel und die Lampen waren noch nicht entzündet. Zuerst bemerkte sie die Blässe seiner Lippen nicht, den starren Blick seiner Augen. Dann sagte er leichthin:
    »Vor einer halben Minute hätte ich noch gesagt, ich wolle abwarten, ob Hasmun seine Drohung wahrmachen kann. Aber ich brauche nicht mehr zu warten. Er kann.«
    Mareme erschauderte.
    »Was ist es?« wisperte sie. »Hast du Schmerzen?«
    »Ein wenig. Ich nehme an, eine seiner verdammten Nadeln steckt in meinem wächsernen Fußgelenk.«
    Er schloß die Augen und öffnete sie wieder. Sein Gesicht war bleich unter der leichten Bräune, aber gefaßt. Plötzlich holte er tief Atem und meinte gleichmütig: »Eine Demonstration. Er verzichtet auf die Nadel und gönnt mir einen Augenblick der Erholung,
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