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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion
Autoren: Tanith Lee
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Leiche hinweg leichthin und mitleidlos in ihren Schoß. »Kauf dir einen neuen Spiegel«, sagte er.
    Ihre Tränen flossen lautlos in der Stille, die folgte. Sie wußte, er war gegangen. Für immer.
     
     
     
Erstes Zwischenspiel
     
    Als der Baumeister mit seiner Geschichte zu Ende war, stellte der blonde Soldat fest, daß es sich mit dem Wein ebenso verhielt. Nach einigen Minuten, in denen er seinen Becher umstülpte und müßig gegen den Krug trommelte, sagte er: »Trockene Arbeit, das Geschichtenerzählen. Nicht wahr, Meister des Zirkels?«
    Der Baumeister rollte seine Papiere zusammen und griff nach dem Rechenbrett.
    »Vielleicht. Ich überlasse es Euch, das herauszufinden.«
    »Wartet -« Roilant erwachte aus seinem Brüten und faßte den Mann am Ärmel. »Ich habe einige Fragen an Euch.«
    »Warum?«
    »Warum?« Roilant wußte nicht, wie er das Offensichtliche erklären sollte.
    »Er«, meinte der Soldat augenzwinkernd, »glaubt Eure Geschichte nicht.«
    »Das ist nicht der Grund«, protestierte Roilant.
    »Herr«, sagte der Baumeister und stand auf, »ich habe Euch gleich zu Anfang gesagt, daß ich für die Wahrheit der Geschichte keine Garantie übernehmen kann. Es muß genügen, daß der Vorfall in Jebba Tagesgespräch war. Und ich weiß ganz sicher, das es in der Stadt einen Apotheker von sehr schlechtem Ruf gab, der auf geheimnisvolle Weise aus der Gegend verschwand. Sein Laden wurde geplündert, und eine große, ausgestopfte Schlange tauchte auf dem Marktplatz auf. Niemand wollte sie kaufen. Man behauptete, sie trüge den Fluch des Magiers.«
    Roilant, der einigermaßen beunruhigt wirkte, setzte zum Sprechen an.
    Der Soldat ließ ihn nicht zu Worte kommen.
    »Vielleicht durch eine Einladung zu noch einem Becher.«
    Sofort rief Roilant nach dem grämlichen Sklaven Esur, der unter dem Vorwand, nach etwas zu suchen, in der Nähe herumlungerte.
    »Eßt mit mir zu Abend«, sagte Roilant zu dem Baumeister.
    »Ich habe bereits eine Einladung in das Haus eines bekannten
    Architekten angenommen. Und es ist zu spät, um noch abzusagen.«
    »Allerdings. Aber dann kommt um Gottes willen heute Abend noch einmal hierher.«
    »Dafür gibt es nicht den geringsten Grund, Herr. Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß.«
    Roilant gab es auf und nickte traurig, als der Baumeister sich verbeugte und den Raum verließ. Der junge Mann mit dem rötlichgelben Haar, obwohl offensichtlich von Adel, schien nichts von der Selbstherrlichkeit eines Adligen zu besitzen. Anscheinend hatte er sich daran gewöhnt, von aller Welt ausgenutzt zu werden, nahm diese Tatsache mit einer Art gutmütiger Verzweiflung hin und erwartete auch gar nichts anderes.
    Als der Wein gebracht wurde und der Soldat sich darüber hermachte, blickte Roilant ohne viel Hoffnung zu den zwei immer noch debattierenden Philosophen in der Nische hinüber. Der eine schien zu der Gruppe von reisenden Gelehrten zu gehören, die hin und wieder in die Stadt kamen, um die Königliche Bibliothek zu besuchen, bevor sie zu der weitaus berühmteren von Askandris in Kyros weiterreisten. Der zweite Mann, älter und ungepflegt, mochte ein Weiser sein, von der Art, die umherzögen und oft nicht ganz bei Sinnen waren. Daß eine solche Gestalt die Schänke überhaupt betreten durfte, war kaum zu glauben, aber der struppige, schmuddelige Bart und das noch struppigere, ungekämmte Haar ließen kaum einen anderen Schluß zu. So viel zu der Qualität der Gäste des Honiggartens. Wenn es sich bei dem Weisen nicht um eine allseits bekannte und beliebte Persönlichkeit handelte, war seine Anwesenheit dem guten Ruf des Hauses bestimmt nicht förderlich.
    Roilant wurde abrupt aus seinen Überlegungen herausgerissen.
    Der Sklave Esur übte seine feuchte Aussprache dicht an seinem Ohr.
    »Ich sagte eben«, wiederholte Esur, »wenn Ihr mit Gold für eine Geschichte von Cyrion bezahlt, weiß ich eine Geschichte von Cyrion.«
    Der Soldat lachte. »Dessen könnt Ihr sicher sein.«
    Esur funkelte ihn an.
    »Ich bin nur ein Sklave und zu nichts anderem gut, als ohne Grund geschlagen, getreten und herumgestoßen zu werden. Aber trotzdem höre ich so manches.«
    Roilant meinte: »Ich glaube, ich schulde dir ohnehin etwas dafür, daß ich dich umgeworfen habe. Dein Leben muß auch ohne solche Zwischenfälle schlimm genug sein.«
    »Ist es - ist es - wenn Ihr wüßtet! Eine Waise im Alter von zwei Jahren, die Eltern verloren, mit drei Jahren auf dem Markt von Heshbel verkauft, wo ein Kind weniger
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